Dieses Bett ist zu groß für mich allein
/Nadia/ Dieses Bett ist zu groß für mich allein. Das habe ich immer gewußt. Ich kann dieses Nachthaus nicht allein bewohnen, das voller Gespenster ist, die mich von einer Ecke zur anderen drängen. Ich habe die Kissen vom Wohnzimmersofa um mich gestapelt. Das ist eine Federmauer, ein Daunenzaun. Doch auf jedem Kissen tanzt ein Troll und schneidet mir finstre Grimassen. Papas Prinzessin schläft nicht, sie findet keine Ruhe, als wäre die Matratze mit Erbsen gefüllt. Ich kann sie nicht an die Kobolde verfüttern. Sie mögen Erbsen nicht. Sie leben von den Tränen kleiner Mädchen, die in den großen Nachthäusern am See das Malheft des Himmels mit Ihrer Furcht vor der Dunkelheit auspinseln, damit die Nacht schneller vergeht.
Wer hat mich nur in diesem viel zu großen Bett ausgesetzt?, in diesem fremden Bett?, in dieser Koboldwelt, in der die Luft nach Vaterschweiß riecht? Mein Papa sägt und hobelt im Keller an immer noch größeren Betten, in denen noch mehr Platz ist für Sofakissen und Gebirge aus Decken und eine kleine Prinzessin nach der anderen, die alle nicht schlafen, weil die Kobolde sie immerzu anfassen wollen, sobald sie die Augen schließen.
Die Kobolde kommen jede Nacht; und die Grimassen sind immer die selben. Man kann nur versuchen, durch sie hindurch zu sehen, als wären sie nicht da, den Blick ganz starr auf das Fenster hinter ihnen zu heften, das Glas zu durchdringen und zu den Sternen zu fliehen, die müde über dem See hängen.
So ist es ein Gefängnis mit guter Aussicht, denn das Fenster geht zum Seeufer hinaus. Und wenn auch die Trolle ihre Fratzen nicht tauschen wollen gegen freundlichere Gesichter und jede Nacht nur immer wieder mit der gleichen Geschichte und dem gleichen trotzigen Tanz ankommen, so schenkt mir doch der See, wenn die Sicht klar ist, immer wieder eine neue Tröstung, von der mein Papa nichts weiß.
Der See ist ja auch eingesperrt zwischen den Ufern. Wenn er wachsen wollte, würde man Dämme vor die Straßen bauen und ihn nicht zu mir heraufkriechen lassen. Aber er ist ein gutmütiger Gefangener, der sich jede Nacht ein neues Gesicht ausdenkt, das er mir zeigen kann. Er kann mir den Mond spiegeln oder Wellenmuster durchs Dunkel treiben. Er kann den Kobolden drohen, und manchmal gelingt es ihm sogar, sie für eine Weile zu verjagen, damit ich schlafen kann.
Warum kannst du dich nicht zu mir in mein Kinderbett legen, mich in den Arm nehmen und ganz langsam atmen? Warum kannst du nicht für einen Augenblick so still mit mir liegen und nichts sagen und nur mein Beschützer sein und alle bösen Geister vertreiben? Warum kannst du nicht auf meinen Herzschlag lauschen, der ruhig und immer ruhiger wird, aber bestimmt nicht anhält? Warum kannst du nicht einbrechen in mein Gefängnis, die Tür öffnen und mich hinaustragen und weit fortbringen? So weit fort, daß keiner der Kobolde mich je wieder einfangen und zurückbringen kann in das Prinzessinnengefängnis, in das Nachthaus am See, in dem der Papa nachts auf Zehenspitzen über den Flur schleicht wie ein als Mann verkleideter Kobold, der Prinzessinnen nachstellt, sie einfängt und einsperrt zwischen Decken und Kissen und seinen Geruch überall eingräbt, ins Haar, in die Kissen, in die Decken, selbst in die Trolle und ihre Grimassen, in jeden Winkel der Seele.
Das Bett ist zu klein für uns beide, sagst du und lachst. Du findest das komisch. Du ahnst nicht, daß meine Finger Messer sind mit scharfen Klingen. Ich werde dir das Herz aus der Brust reißen, wenn du nicht aufhörst zu lachen. Ich werde dich in einen Kobold verwandeln und im See ertränken, wenn du das Nachthaus nicht aufbrichst und niederreißt. Dann bleibt es Nacht am See, und es bleibt Nacht in der Stadt. Das hast du dann von deinem Lachen.