Der Schauspieler hat Geburtstag

/Nina/ Der Schauspieler hat Geburtstag. Er feiert ihn mit anderen Schauspielern. Sie nennen das Housewarming, aber seit es heute abend zum ersten Mal geklingelt hat, ist mir kalt.

Henry mag diese Leute, wahrscheinlich weil sie so sind wie er. Anders kann ich es mir nicht erklären. Die meisten von ihnen kamen mir vor wie Puppen. Ihre Auftritte, als Henry ihnen die Tür geöffnet hatte und sie hereinkamen, hätten ein Hinausgehen auf die Bühne sein können. Die Begrüßungen waren laut und überschwenglich, vor allem laut. Jetzt trinken sie und singen und lachen. Alles an ihnen ist laut. Ich weiß nicht, wie Christa das aushält.

Ich bin in mein Zimmer gegangen und hoffe, daß mich niemand vermißt. Ich kenne keinen von diesen Leuten, in letzter Zeit nicht einmal mehr Christa. Sie könnten leiser sein, wenn sie die Vorhänge aufziehen würden. Aber das wollen sie nicht, also müssen sie durch den Stoff sprechen, und das strengt an.

Ich glaube, wenn sie nicht gut genug gehört und gesehen werden, sind sie gar nicht da. Vielleicht kann man sie sogar ausschalten wie einen Fernseher. Aber das würden sie bestimmt sehr genau wissen und mit einer Hand immer den Schalter verdecken, damit nur ja nichts passiert und der Bildschirm nicht vor Sendeschluß schwarz wird. Es gibt verschiedene Modelle. Sie können immer nur Rollen spielen, die mit ihren Versteckgesten zusammenpassen.

Daß Christa über diese Typen schreibt, ist wirklich schräg. Aber daß sie mit dem Schauspieler ins Bett geht und ihn nun sogar noch jeden Morgen in seinem rotseidenen Kimono in unsere Küche läßt, kann ich nicht fassen. Ich weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen werde, daß er bleibt.

Vater stand morgens manchmal nackt in der Küche und rauchte die erste Zigarette, während er den Kaffee aufgoß. Wenn jemand hereinkam, hielt er sich den gehäkelten Topflappen vor und grinste. Das hat sie doch gemocht. Ich habe oft gesehen, wie sie ihre Hand auf seinen Po legte, ihn durch den Rauch hindurch küßte, das Gesicht verzog und ihn doch noch einmal küßte. Bei ihm war es in Ordnung.

Der Schauspieler macht vor dem Frühstück heimlich Liegestütze im Wohnzimmer, ißt Vollkornbrötchen und raucht nur, wenn er betrunken ist. Er ist auch bald fünfzig, da ist der Kimono nur standesgemäß. Aber der karierte Topflappen war doch besser.

Jetzt haben sie es unten mit Brecht: „Und ein Schiff mit acht Segeln…“ Erst denke ich noch: Gott sei Dank, daß es klingelt. Aber dann gibt es ein großes Hallo, und kurz darauf kommt jemand die Treppe herauf. Es ist Henry. Sein Vater ist gekommen, und er will mich ihm vorstellen.

Er muß schon einiges getrunken haben. Seine Stimme klingt rauh. Als er sagt, daß ich hinunterkommen soll, hört es sich an wie „Bei Fuß“. Er hat mir gar nichts zu sagen. Ich gehe nicht runter. Was interessiert mich sein Vater?

Das regt ihn natürlich auf, soll es auch. Er schickt Christa zu mir. Sie ist schon ganz rot im Gesicht vom Lachen und Trinken. Aber sie bittet mich und ist wirklich fröhlich.

Ihr will ich die Freude nicht verderben. Es wird auch nur so einer sein, denke ich und gehe mit. Christa drückt meine Hand. Das ist komisch. Ich glaube, sie ist stolz auf mich, während sie mich so die Treppe hinunterführt. Das ist schon wieder lieb, und ich könnte den ganzen Trubel einfach vergessen dafür.

Erst sehe ich den Mann nur von hinten. Henry hilft ihm aus dem Mantel und nimmt seinen Hut. Ich wußte nicht, daß sein Vater so alt ist. Er bewegt sich sehr langsam, und seine fleckigen Hände zittern. Ich bin erschrocken und will ihm wirklich nicht die Hand geben, aber der Schauspielervater läßt mir gar keine Zeit. Er dreht sich zu mir um und sieht mir direkt in die Augen. Er lächelt und ist nicht mehr der gleiche.

Mit seinem Sohn hat er gar nichts zu tun. Er sieht mich an, als wäre ich die einzige auf diesem Flur, als wäre er nur meinetwegen gekommen, ganz unheimlich. Ich brauche ihm nicht die Hand zu geben. Er hat sie schon, hält sie ganz sanft und hebt sie zu seinem Mund. Aber er küßt sie nicht, hält sie nur und hört nicht auf, mir in die Augen zu sehen.

Ich wäre auch zu Ihnen hinaufgekommen, sagt er leise: Aber das traut mir keiner mehr zu.

Er lächelt noch einmal und läßt unsere Hände wieder sinken. Wenn er nicht aufhört, mich so anzusehen, muß ich entweder weinen oder ihn umarmen. Ich glaube, er sieht alles in diesen Sekunden. Das muß ein Trick sein, aber kein böser.

Ich darf ihn auch sehen, sagen seine blaßgrünen Augen unter den weißen Brauen. Er verrät mir, daß sein Bart eine große Narbe verdeckt, die quer übers Kinn geht und rot wird, wenn er sich ärgert. Er verrät mir, daß dieser Besuch nur die höfliche Länge haben wird, nicht die herzliche, und daß er die Lieder alle schon kennt. Aber er verrät mir auch, daß er Henrys Vater ist und ihn genau so ansehen kann wie mich und wie ich ihn, ohne müde zu werden, und daß auch er morgens Liegestütze macht, auch wenn er schon neunzig ist und wenn ich das eitel finde.

Er könnte aufhören mit diesem Blick. Wahrscheinlich weiß er schon alles, selbst, daß ich manchmal nachmittags im Bad vor dem Spiegel stehe und mich ansehe und mit dem Zeigefinger um meinen Bauchnabel Kreise male. Dann weiß er auch, daß ich an diesen Nachmittagen den Kimono anziehe, obwohl er Henry gehört, über den ich mich lustig mache, daß ich ihn anziehe, weil die Seide mich überall streichelt wie mit vielen Händen.

Ich muß den Kopf senken, bitte, sonst weiß er wirklich alles, denke ich noch. Da sieht er zur Seite, beugt sich zu mir und flüstert: Wenn du jetzt rot wirst, ist alles verdorben. Und er legt den Zeigefinger auf seine Lippen.

Jetzt muß ich ihn doch umarmen, ganz kurz nur, wie in Eile, damit es niemand sieht. Dann laufe ich die Wendeltreppe hinauf und drehe mich erst um, als nur er mich von unten noch sehen kann. Ich lege zwei Finger auf mein Kinn, und er winkt nach oben.

Jetzt werde ich doch wach bleiben, beschließe ich, zumindest, bis er geht und sich verabschiedet. Ich könnte Anja anrufen, denke ich, aber dann will ich ihr doch nichts erzählen. Sie ist zwar meine Freundin, aber vom Kimono weiß sie nichts. Bis vorhin war es mir noch peinlich.

Ich setze mich ans Klavier und spiele mit der rechten Hand ein paar Übungen. Ganz leise und ohne hinzusehen, nur für die Finger. Ich will die Party nicht stören. Eine Hand, die mir nicht gehört, spielt mit. Aus der Übung wird ein Stück: mit wechselnden Händen.

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