Das Café in der kleinen Passage

/Eva/ Das Café in der kleinen Passage ist ein grausiger Ort, wenn ich geschminkt hinaustrete und du nicht auf mich wartest. Nichts dürfte dich abhalten. Diese Zeit gehört mir und dir. Du bist es doch, dem ich diese Geschichte erzähle, immer wieder, jeden Tag. Jeder andere versteht sie. Nur du siehst mir nicht in die Augen. So muß ich sie dir immer und immer wieder erzählen. Nur für dich bin ich hier. Weißt du es nicht?

Ganz gleich, welche Rollen ich abends im Theater spiele: Das hier bin ich. Die Frau, die jeden Mittag in der kleinen Passage den Hut aufs Pflaster stellt und in deine Richtung spielt. Die Frau, die Gesten erfindet, immer neue Regungen der Hand, des Gesichts, die immer nur dir erzählt, was du nicht hören willst. Ich kann erst aufhören, wenn du weißt, was meine Wimper dir sagen will. Und bis dahin darf dich nichts abhalten. Das weißt du.

Ich ahnte es noch nicht heute morgen. Ich ahnte es nicht, als ich mein Kostüm in die Tasche stopfte, zur Schminke, zum Warten, zu all meinem Spielen an den Mittagen. Aber ich ahnte es, ein erstes Mal ahnte ich, was geschehen war, als dein Platz leer blieb. Der Kellner hob die Achseln, und ich ging noch einmal hinein und sagte dem Spiegel vieles, was er besser nicht wissen sollte.

Das Schließfach bleibt heute leer. Deine Aktentasche fährt mit dir im Bus und wird dich fressen, wenn du nicht rechtzeitig aussteigst. Sie wird dich fressen, weil du jeden Tag nur auf Umwegen zu mir kommst. Du bist immer zu spät, selbst wenn du pünktlich bist. Sie wird dich fressen. Heute wird sie es tun.

Ich habe lange gewartet. Angerufen habe ich nicht. Kein Telefon erreicht dich, wenn du nicht bei mir bist. Ich habe mir die Worte für die Abendbühne vorgesagt, bis es dunkel wurde. Ich habe die Worte für die Nachtbühne geprobt in den Pausen zwischen meinen Auftritten, den Kopf in den Nacken gelegt. Durch den zweiten Rang ging ein Riß. Für wen soll ich spielen, wenn du mir nicht mehr zusiehst?

Was auch immer ich ahnte am Mittag – am Abend wußte ich, daß der Hof deine Schritte freigegeben hat, daß ich dir nicht mehr nachschauen werde, weil du nicht mehr kommst und nicht mehr gehst. Ich kann durch die Wohnung gehen und alle Türen öffnen und schließen, und es wird nicht dasselbe sein. Ich kann in den Spiegel springen wie in ein tiefes Wasser, doch du wartest dort nicht.

Du hast die Zigarette zertreten, als der Bus hielt. Du bist eingestiegen und hast dich neben ein Mädchen gesetzt, das ebenso träumte wie du. Der Herbst ist an euch vorübergeflogen, und Blätter und Regen peitschten die Scheiben, als wären es eure Augen. Auf deinen Knien lag die Aktentasche und schnappte nach deinen Händen.

Es hat dir gefallen, so durch den Regen zu fahren. Darüber hast du mich vergessen. Ist es nicht so, daß ein paar Tropfen genügten, die am Glas entlangzitterten? Du fuhrst vorüber an der kleinen Passage. Du hättest aussteigen sollen. Ich hätte noch einmal vor deinen blinden Augen gespielt, wärst du nur ausgestiegen.

Ich stehe allein am Bühnenausgang, und das grüne Licht mit dem Wort Exit wird rot. Ich gehe allein nach Hause, öffne die Tür allein, gehe allein durch die Räume und rufe nach dir. Und ich lausche allein auf eine Antwort und höre allein niemanden außer mir selbst.

Das Telefon fällt über mich her wie ein Raubtier mit der Nachricht, daß Busse Menschen verschlingen mitsamt gefräßigen Aktentaschen. Daß ich Puder und Lippenstifte, Kajal und Perücken verschenken und auf den Wind hören muß, der wie irr durch den Hof tobt und dich ruft. Und du antwortest nicht.

Ich soll aufhören zu rufen, soll aufhören zu fragen. Ich soll jede Träne hinwegspielen und an Lächellügen durch den Tag hangeln. Das alles könnte ich tun. Aber ich bin nicht mehr da. Das kann ich jedem sagen: Mich hat es nie gegeben. Ich war nur der Schatten, der von dir auf mich fiel. Und der Vorhang rauschte dazwischen wie ein Schwert durch Seide.

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