Als ich vor der Klasse stand

/Daniel/ Als ich vor der Klasse stand, war es nicht mehr ganz so schlimm. Ich sagte mir: Unterrichte und denke nicht an den Herbstwind, der draußen geht. Fast glückte es mir. Ein paarmal nur sah ich aus dem Fenster, während die Klasse schrieb, beobachtete die Leute, die den Gehweg entlang hasteten, und sah den Autos hinterher, die durch die Allee fuhren und die leeren Stachelgehäuse der Kastanien zerdrückt zurückließen.

Nach dem Unterricht kochte ich mir im Lehrerzimmer einen Kaffee und korrigierte eine Vokabelarbeit, die ich am Vormittag hatte schreiben lassen. Ich hatte nicht viel Arbeit damit. Gegen halb drei war ich fertig, sammelte meine Sachen zusammen und nahm den Mantel.

Auf dem Flur sah ich Franziska mit einer Schülerin sprechen. Ich nickte ihr zu und ging schnell an ihnen vorüber in Richtung Treppe. Ich hoffte, sie würde das Gespräch nicht gleich beenden können. Sicher würde sie vorschlagen, in der Stadt essen zu gehen. Doch ich wollte nicht mit ihr reden.

Wir nennen uns Freunde, aber das verschleiert nur die eigentliche Art unserer Beziehung, in der nichts weiter vorgeht, als daß wir ab und an miteinander schlafen. Und mehr ist es wirklich nicht. Nie gehen wir gemeinsam aus, schon um nicht zufällig von unseren Schülern oder Kollegen zusammen gesehen zu werden. In der Schule grüßen wir einander wie andere Kollegen auch. Ich sage ihr immer, es wäre besser, wenn niemand von unserer Beziehung weiß. Das würde Gerede vorbeugen. Doch es ist nur ein Vorwand, um ihr nicht sagen zu müssen, was ich wirklich denke. Ich mag sie nicht. Ihre Zärtlichkeiten sind wie eine Zigarette, die man raucht, und dann ist es gut. Mehr ist nie gewesen, zumindest nicht von meiner Seite.

Bei ihr ist es etwas anderes. Jeder Besuch bei mir nährt ihre Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, was aber bloße Illusion ist. Ich habe ihr das auch gesagt, doch sie will nichts davon hören. Es nutzt nicht einmal, wenn ich zu ihr sage: Geh, du bist mir zuwider, komm nicht mehr. Sie weint dann, zieht sich an und geht. Nach ein, zwei Wochen aber ist ihr Blick wieder derselbe, und sie kommt zu mir und umarmt mich, als hätte es meine Demütigungen nie gegeben.

Ich weiß nicht, wozu es gut ist. Statt sie fortzuschicken, lasse ich zu, daß alles von vorn beginnt, obwohl ich weiß, wo es nach kurzer Zeit wieder enden wird. Keine Schlußpunkte, nur Gedankenstriche, Pausen und nichts Endgültiges.

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