Eine Reise nach Kythera
I
Mein Herz, ein Vogel, fröhlich aufwärts fliegend,
Umschwebt voll Heiterkeit des Segels Tau,
Das Schiff rollt unterm klaren Himmelsblau,
Ein Engel, in der Sonne Glanz sich wiegend.
Doch jene Insel, schwarz und düster dort;
Kythera ist’s, durch Ruhmesklang erhaben,
Einstmals das Paradies der alten Knaben,
Ein armes Land jetzt und ein finstrer Ort.
Insel der Feste, süsser Heimlichkeiten!
Noch immer schwebt der Liebesgöttin Bild
Hier überm Meer, wie Duft so feurigmild,
Dass Lieb‘ und Sehnsucht unsere Herzen weiten.
Insel, von Myrten, Blumen überblüht,
Von jedem Land, von jeder Zeit gefeiert,
Wo der Verliebten Seufzer sanft verschleiert,
Wie Weihrauch einen Rosenwald durchglüht,
Wie ewiges Girren liebeskranker Tauben!
Und jetzt, – nur Wüste, felsigdürre Welt,
Vom scharfen Schrei der Vögel wild durchgellt.
Und dennoch will ich an ein Wunder glauben!
II
Kein Tempel ragt aus schattiger Büsche Wand,
Nicht seh‘ ich junge Priesterinnen schreiten
Durch Blumen hin, voll heisser Heimlichkeiten.
Im leisen Lufthauch flatternd das Gewand.
Doch wie wir nah genug der Küste streben,
Dass unser Segel scheucht der Vögel Schwarm,
Erkenn ich eines schwarzen Galgens Arm
Zypressengleich vom klaren Blau sich heben.
Und wilde Vögel, eng beisammen sitzend,
Zernagen des Gehenkten morschen Leib,
Unreine Schnäbel, wie zum Zeitvertreib
In Fäulnis tauchend und das Blut verspritzend.
Des Toten Augen starren Löchern gleich,
Die Därme sieht man blutig sich ergiessen,
Die Henker ihre grausige Lust gemessen,
Zerstören diesen Leib mit Hieb und Streich.
Und unter ihm schleicht neidisch das Gelichter,
Vierfüssig Volk, die Schnauze hochgestreckt,
Aus ihrer Mitte sich der Grösste reckt,
Wie aus der Knechte Schar der blutige Richter.
Kytheras Kind, Kind blauer Himmelsluft,
So duldest du die grausige Schmach mit Schweigen,
So sühnst du deiner Liebesfeste Reigen,
Der Frevel Last verwehrt dir Sarg und Gruft.
Spasshafter Toter, deine Leiden alle
Sind meine! Wie der Wind dich hebt und neigt
Ein bittrer Ekel mir zum Munde steigt,
Der alten Schmerzen aufgewühlte Galle.
Vor dir, du Armer, hab‘ ich sie gefühlt
Mit ihren Schnäbeln, Krallen, scharfen Zähnen
Die wilden Raben, Geier und Hyänen,
Die einst so gern zerfleischt mich und zerwühlt.
Des Himmels Blau kann mich mit Lust nicht füllen,
Ich fühle nur noch Qual und Götterfluch
Und möchte, ach wie in ein Leichentuch
Mein Herz in dieses trübe Gleichnis hüllen.
Auf Venus‘ Insel alles mir zerrann,
Ein Galgen blieb, daran mein Bild zu schauen. –
Gib, Herr, mir Kraft und Mut, dass ohne Grauen
Hinfort ich auf mich selber blicken kann!