Die Liebe und der Schädel

Die Liebe hat zu ihrem Thron
Der Menschheit Haupt erkoren,
Sitzt auf dem Schädel nun voll Hohn
In fröhlich Spiel verloren.

Bläst runde Blasen in die Luft,
Die hoch zu steigen scheinen,
Als wollten sie mit Glanz und Duft
Die Welt dem Äther einen.

Doch schwebt er in die Luft hinaus,
Der Ball aus buntem Schaume,
Zerspringt er, sprüht die Seele aus,
Gleich einem goldnen Traume.

Bei jeder Blase, die entflohn,
Hör‘ ich den Schädel flehen:
»Dies Spiel voll Grausamkeit und Hohn,
Wird’s nie zu Ende gehen?

Hör‘, was dein Mund so frevelhaft
Den Lüften preisgegeben,
Das, Mörder, das war meine Kraft,
Mein Hirn, mein Blut, mein Leben.«

Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
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