Die beiden barmherzigen Schwestern

Lust und Vergänglichkeit, zwei schöne Weiber,
Die reich an Küssen sind, ein kraftvoll Paar,
Lumpenverhüllt die jungfräulichen Leiber,
Durch ewiger Arbeit Mühen unfruchtbar.

Dem Dichter sind sie liebe Zeitvertreiber;
Es bieten Freudenhaus und Grab sogar
Dem finstern Höllenfreund, dem Märchenschreiber
In ihrem Schutz ein reulos Lager dar.

Ja, Bett und Sarg, an Frevel überreich,
Sie spenden uns, barmherzigen Schwestern gleich,
Entsetzlichen Genuss und süsse Pein.

Wann kommst du, ekle Lust, und sargst mich ein?
Du, ihr Rivale, tödliches Vergessen,
Wann pfropfst auf welke Myrten du Zypressen?

Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
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