Der Traum eines Neugierigen

Kennst du wie ich die lockendsüssen Leiden,
Und nennt man einen Sonderling auch dich?
Ich lag im Tod. – Begier und Furcht, die beiden
Vermischten sich im Herzen wunderlich.

Nur Angst und Hoffnung, nichts von Groll und Streiten.
Je mehr der Sand der schlimmen Uhr entwich,
Fühlt‘ ich’s nur süsser, herber mich durchgleiten,
Und von der Welt riss meine Seele sich.

Und harrte wie ein Kind, von Gier erfüllt.
Den Vorhang hassend, der das Wunder hüllt.
Der Vorhang stieg: ein kalter Strahl des Lichts –

Und eisiger Schauder durch das Herz mir kroch:
Kein Wunder kam, tot war ich, – weiter nichts?
Der Vorhang stieg, ich warte immer noch.

Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
Fleurs du Mal als RSS-Feed abonnieren • „Fleurs du Mal“ als RSS-Feed abonnieren

Einen Kommentar schreiben

XHTML: Folgende Tags sind verwendbar: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>