Geräusche in der Rotunde der Zeit

7. Februar 2007

Mushrooms - © 2006-2007 maria-ana-m@deviantart.com

••• Jeden zweiten Mittwoch kommt der Babysitter. Normalerweise gehen wir dann ins Kino. Heute sollte es etwas anderes sein. Auf dem Weg zur Arbeit war mir ein Plakat aufgefallen. In der Rotunde der Pinakothek der Moderne (wir sind in München) würde es einen John-Cage-Abend geben, das Konzert für Klavier und Orchester von 1958. Da sind wir also hin. Der Veranstalter hatte befürchtet, vor leerem Saal zu stehen, aber es war bis auf den letzten Platz alles besetzt.

Nun hat das „Klavierkonzert“ mit einem Konzert im gewöhnlichen Sinne wenig gemein. Es geht um Klänge im Raum, um Stille und – um Zeit. Den Musikern steht ein Angebot an Klangmaterial zur Verfügung. Die Aufführung bewegt sich zwischen Ausführungsfreiheit und wenigen, aber klaren Vereinbarungen, etwa zur Dauer einer Variation des Stücks. Und selbst hier kann es Überraschungen geben. Denn es gibt undirigierte und dirigierte Stücke. Die Aufgabe des Dirigenten ist es dabei, die Uhr des Musikers zu sein, die dieser selbst nicht hat. Er beschreibt mit den Armen den Lauf eines Sekundenzeigers ums Zifferblatt. An die Stelle der Zeitminute tritt so die gefühlte (und dirigierte Minute) des Dirigenten, der die Musiker folgen müssen.

Es war ein sehr kurzweiliger Abend, spannend und mit viel Spass, nicht zuletzt dank der gekonnten Moderation von Ulf Schirmer, Künstlerischer Leiter des Münchner Rundfunkorchesters. So konnte man zwischen den Stücken vieles erfahren: über Busse, Stille, Struktur, Zufall, Planung und – Pilze, denen John Cages besonderes Interesse galt.

Im Anschluss an eine 5½ Minuten Tutti-Version, in der die Stille ausgelassen wurde, bat Ulf Schirmer das Publikum, die fehlenden 2½ Minuten Stille als dirigiertes Schweigen aufzuführen und wandte sich also dem Publikum zu, um 2½ Armumrundungen Stille zu dirigieren.

Währenddessen ging mir folgendes ein: Seit ich erfuhr, dass ich Vater werden würde, habe ich eine innige (und kostspielige) Zuneigung zu mechanischen Uhren. Im Moment trage ich ein deutsches Meisterstück mit Handaufzug. – Nur anzudenken, ob und wie das eine mit dem anderen zusammenhängen könnte, füllte spielend 2:08 min. Es folgten 11 Sekunden Pause. Als die 2½ Minuten beinahe vorbei waren, fragte ich mich: Wenn ich vergesse, meine Uhr aufzuziehen, bleibt dann die Zeit stehen oder nur meine Uhr?

Eine Reaktion zu “Geräusche in der Rotunde der Zeit”

  1. Ode an eine Uhr in der Nacht « Turmsegler

    […] mechanischen Uhren hege ich eine innige Liebe. Sie sind etwas fürs Auge, fürs Ohr, für den Tastsinn. Sie sind […]

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