Ein Gastbeitrag von: Michael Perkampus
„Ich bin jetzt da“, sagte sie und lachte. Am Telefon wurde mir heiß, ich verbrannte bereits in ihrer Stimme, ich war ihr vollkommen ergeben. Sag, was du von mir verlangst, und ich werde nicht zögern, auf der Stelle zu tun, wie mir geheißen!
Alles an dieser Frau entsprach einem Bild, das tief in mir plaziert worden war, bevor ich mich aufmachen musste, allein mit meinen Schatten und der verschwindenden Erfahrung. Für diesmal. In uns allen steckt ein Tresor, dort in dieser tiefsten Kammer – vielleicht ist dort das Geheimnis unseres wahren Ich zu finden, die Treppe runter, dann links, Sie wissen schon…
In diesem Tresor, umgeben nur von einem Leuchten in Farben, die wir gar nicht kennen, die unsere Augen nicht wahrzunehmen vermögen, liegen all unsere Erinnerungen an die Zukunft verborgen.
Erst später fragte ich mich also: Wer waren wir? Unsere Geschichte ging jetzt weiter, jetzt in der Vergangenheit. Ich bin da.
Und ihre Stimme konnte es beabsichtigt haben oder nicht: ich kannte sie, sie entsprach meiner Wärme, meiner Hitze, meinem Verglühen. Stimmen drücken wie die Augen eines Menschen die Seele aus.
Sie kennen das: Ihnen gefällt ein Lied, und sie hören es nicht nur deshalb immer wieder, weil Ihnen die Melodie so zusagt, sondern weil ein gewissen Wort in einer gewissen Weise ausgesprochen wird. Sie halten das für banal und sagen es nicht weiter, Sie erzählen es nicht einmal Ihren besten Freunden, Sie genießen es ganz für sich alleine, spulen oder zippen zurück. Und: Bauchhirn. Das ist meins. Mein Schmachten, mein Zittern, mein Wort, artikuliert von ihr, in die ich mich derartig verliebt hatte, dass mir jedesmal, wenn ich ihre Stimme hörte, nicht etwa die Schmetterlinge im Magen zappelten, sondern darin geboren wurden, sich entpuppten und aufwärts stoben.
Wenn wir intonieren – die Lippen vibrieren – weben wir den Zauber. Der Gedanke bekommt seinen Körper und schwebt, wie das Licht, unaufhörlich und für alle Zeiten durch den Raum.
Früher liebte ich die Körper derer, die mir Körper waren, der andere Körper, der Körper, in den ich eindrang, der Körper, an dem ich mich verging. Sie aber war mir Klang, und sie war das, was auch ich war. Und ob sie es selbst so verstand? Ich sah auch sie leicht zitternd in der Dunkelheit am Boden sitzen, um uns herum der Lärm, die Musik, die Bewegung der anderen, die mit uns in diesem Raum saßen, ihrer eigenen Spur folgten, denkend, dass sie mit uns beiden in einem Raum säßen, Musik hörten, Lärm verursachten…
Und sie sah mich an, aber es war mehr: sie sah mein Wesen an. Hatte sie es entdeckt?
Ich bin da. Wir trafen uns zum ersten Mal, und wir waren nicht allein. Was würde geschehen ohne die störenden Blitze der anderen, für die sie nichts konnten, dachten sie doch selbst, sie seien von nennbarem Interesse. Sie ahnten es nicht, sie kannten es nicht. Sie spürten es jedoch und wurden bestimmt von einer Unruhe erfasst, wie wenn man sich in einem Gebäude aufhält, in dem es spukt. Man glaubt nicht daran, man glaubt nicht, was man hört, man geht da rein, und man fühlt, dass etwas nicht stimmt, aber man sagt es, wie im Falle der ganz besonderen Intonation eines Wortes, nicht weiter.
Und ich wusste, dass ich nicht einfach zu ihr hingehen konnte, sie nicht einfach küssen konnte. Wir gehörten uns, und wir trafen uns zum ersten Mal in einem Studio, um Texte einzulesen. Sie setzte sich vor das Mikro, sie war die Sonne und der Mond zu gleichen Teilen, sie war der Inbegriff dessen, was ich mir vorstellte, wenn ich die Augen schloss und an jene dachte, die ich unbedingt und für alle Zeiten lieben wollte. Die Aufnahme lief und sie las ihren Text.
Sie sagte: „Bauchhirn“. In diesem Moment starb ich in der alten Welt und betrat eine neue.
Am 23. Mai 2008 um 09:09 Uhr
[…] Sie sagt: Bauchhirn […]