Blaubart:
Schau, die frühern Frauen an,
sie, die ich vor dir geliebt hab.
Judith:
Sie leben, leben, alle leben!
Blaubart:
Herrlich, herrlich, Schönheit strahlend:
Nie vergessen liegt ihr Wesen.
Meine Schätze scharten sie mir.
Meine Nelken nährten sie mir.
Meine Nacht vermehrten sie mir.
Ja, sie sind alles, alles.
Judith:
Wie sie schön sind, wie sie reich sind.
Ach, wie arm bin ich daneben!
Blaubart:
Früh am Morgen kam die erste,
Taufrisch in der Morgenröte.
Ihr gehört nun aller Morgen,
ihr sein kühler Rosenmantel,
seine lichte Silberkrone.
Ihr gehört nun aller Morgen.
Judith:
Wie vermag ich ihr zu gleichen?
Blaubart:
Mittags sah ich dann die zweite,
golden glänzend wie die Sonne.
Ihr gehört nun aller Mittag,
ihr sein schwerer Feuermantel,
seine goldne Sonnenkrone.
Ihr gehört nun aller Mittag.
Judith:
Wie vermag ich ihr zu gleichen?
Blaubart:
Abends fand ich dann die dritte.
Mühsal macht dem Abend Frieden.
Ihr gehört nun aller Abend,
ihr sein dunkler Leidenmantel.
Ihr gehört nun aller Abend.
Judith:
Wie kann ich mich ihr vergleichen!
Blaubart:
Nachts fand ich die vierte endlich…
Judith:
Blaubart, Blaubart, warte, warte!
Blaubart:
… unter nächtlich klaren Sternen.
Judith:
Warte, warte! Noch bin ich hier.
Blaubart:
Strahlend war dein weißes Antlitz.
Braun dein Haar die Wolken scheuchte.
Alle Nacht fortan ist deine,
dein ihr samtner Sternenmantel,
seine Diamantenkrone.
Dein ist mein herrlichstes Kleinod.
Herrlich, herrlich, Schönheit strahlend:
Du warst meiner Frauen schönste,
du Allerschönste. –
Nacht bleibt es nun ewig.
Immer. Ewig. Immer.
Béla Balázs, aus dem Libretto zu
„Herzog Blaubarts Burg“ (Béla Bartók)
••• Sie leben, leben, alle leben! – Béla Balázs erzählt den Blaubart ganz anders: Aus Liebe folgt Judith Blaubart in die düstere Burg seines verwundeten Selbst. Alle Kammern seines Herzens will sie erforschen, ungestüm; und Schlüssel um Schlüssel gibt er ihr, immer fragend: »Bangt dir?« Und sie antwortet: »Nein, mir bangt nicht.«
So tritt sie ein in die Folterkammer seiner Kindheit. Sie öffnet die Waffenkammer, angefüllt mit dem Arsenal seiner Verteidigung. Ihr bangt noch nicht; und die Burg wird heller.
Es folgt die Schatzkammer mit den blutigen Trophäen des trotzig erworbenen Erfolgs. Kein Bangen.
In den Kammern vier und fünf findet sie einen Blumengarten (doch »Blut klebt an der Rosen Wurzel…«) und die weit sich ausdehnenden Ländereien seiner empfindsamen Seele. Auch die beiden letzten Türen will sie öffnen, obgleich er sie beschwört. »Alle Türen«, ruft sie, »will ich öffnen. Weil ich dich liebe!«
In der Burg wird es hell.
Ein Tränenbrunnen verbirgt sich hinter der sechsten Tür. Nun beschleicht Judith doch die Furcht; und das Licht beginnt zu weichen. Dennoch fordert sie den Schlüssel zur letzten Kammer…
Meine erste Aufnahme von »Blaubarts Burg« fand ich mit sechzehn in einem Stapel von Schallplatten, den mein Onkel von seinem Onkel geerbt hatte. Sie war aussortiert, und ich nahm sie – neben vielen anderen grossartigen Klassik-Aufnahmen – wie einen Schatz mit nach Hause. Es war eine ungarische Einspielung. Natürlich verstand ich kein Wort; aber so konnte ich die ungemein kraftvolle Musik Bartóks entdecken, bevor ich dem Text nachspürte.
Die zweite grosse Entdeckung, nämlich des Textes, machte ich erst zehn Jahre später. Ich berichtete als Journalist von einer Konferenz in Monaco. Während der Mittagspause lief ich durch die Strassen und fand mich schliesslich in einer Musikhandlung wieder. Dort fiel mir eine deutsche Aufnahme mit Ludwig Fischer-Dieskau und Hertha Töpper in die Hände. Ich habe die Oper seither in vielen Sprachen gehört, doch diese Aufnahme ist das »Kronjuwel« in meiner Blaubart-Sammlung.
Ich glaube nicht, dass diese CD nochmals aufgelegt worden ist. Wer sie findet (in der Doppel-CD-Ausgabe mit Stravinskis »Oedipus Rex«) sollte sie sich umgehend schnappen und nicht wieder hergeben.
»Blaubarts Schloss«, Radio Symphonieorchester Berlin
Dietrich Fischer-Dieskau und Hertha Töpper
Am 15. März 2007 um 17:57 Uhr
[…] Eingang zur Blaubartburg. Sie soll bald geöffnet werden. Doch wenn dies geschieht, werden wir – wie Judith – vor sieben weiteren Türen stehen: neugierig, wissensdurstig. Und auch diese Türen werden […]
Am 12. August 2009 um 23:07 Uhr
[…] habe ich das Foto gemacht für diesen Beitrag. Doch dann kam Blaubart und die früheren Frauen und Gabrielas Gedichte über Liebe und Tod; und mit einem Mal fiel […]