••• Das Schreibheft Nr. 70 – zu dem ich nach der Erstbekanntschaft – natürlich gegriffen habe, hat es mir nicht leicht gemacht. Das zählt ja auch nicht zu den Aufgaben einer Literaturzeitschrift. Aber man ist nicht jeden Tag gleich zugänglich für Experimentelles.
Die von Norbert Hummelt besorgte Neuübersetzung von T. S. Eliots „The Waste Land“ knüpft an das Pound-Thema des vorangegangenen Heftes an, denn Pound hat Eliot durch sein Lektorat nicht unwesentlich dabei geholfen, dieses Opus überhaupt zu vollenden! Hummelt geht in seinen anschließend abgedruckten Notaten zur Übersetzung auch auf die bisher verfügbaren Übertragungen ein.
Schließlich bin ich nach einigem irritierten Blättern auf eine für mich echte Neuentdeckung gestoßen: Ivo Michiels.
Dass mich das Thema, dem er sich widmet, unmittelbar packte, kann nicht verwundern. Denn unter dem Titel „Ich erinnere mich an mehr, als ich mich erinnere“ schreibt Michiels über Formen und Fallen des Erinnerns beim autobiographischen Schreiben.
Wenn ich methodisch vorgehe, unterscheide ich, mehr oder weniger in Analogie zu den sieben Blättern der mystischen Rose, sieben Stufen der Gedächtnisarbeit beim autobiographischen Schreiben.
Und die wären:
- Woran sich der Autor genau erinnert
- Woran sich der Autor fragmentarisch erinnert
- Woran sich der Autor nicht erinnert, sich jedoch zu erinnern meint
- Was sich der Autor als Erinnerung aneignet
- Wo der Autor zu den Schriften des Autors zurückkehrt
- Wo sich der Autor den Schriften anderer Autoren zuwendet
- Das siebte Blatt der Rose
Ich würde liebend gern an dieser Stelle ausführlich exzerpieren. Aber nein, Interessenten sollten unbedingt zum Schreibheft Nr. 70 greifen und Michiels Essay in voller Länger selbst nachlesen. Nur ein kleiner Sneak an dieser Stelle:
Ich kann heute, nach all dem Vorangegangenen, allmählich knapper werden, wenn es erlaubt ist, in einer ein wenig kindlichen Art meiner guten Laune freien Lauf zu lassen […] und zugleich meine Freude, meine Dankbarkeit zu äußern. Freude über meine ausgesprochenen Defizite, Gedächtnisdefizite, und mir dessen bewußt zu sein, Dankbarkeit über das mir vom Himmel geschenkte Heilmittel: Schreiben ohne Blick zurück, in der Tat aus dem Bewußtsein heraus, das man mit dem Slogan zusammenfassen könnte: Deine Vergangenheit, Memorialist, liegt vor dir, alles, woran du dich zu erinnern hast, gehört der Zukunft.
Natürlich wollte ich im Anschluss an die Lektüre mehr über Ivo Michiels wissen. Ich brauchte nur eine Seite umzublättern im Schreibheft Nr. 70 und bekam von Sigrid Bousset pointiert berichtet, wer Ivo Michiels ist, was die Eckpunkte seines Werkes ausmacht und: dass man ihn lesen muss.
Sehr zu meiner Freude hat Norbert Wehr – Herausgeber des Schreibhefts – eben jenen Beitrag von Frau Bousset als PDF ins Netz gestellt, so dass Interessenten sich vorab schon online informieren können.
Am 17. April 2008 um 13:29 Uhr
:) Woran sich der Autor nicht erinnert, sich jedoch zu erinnern meint ;)
Am 17. April 2008 um 15:01 Uhr
Ich glaube, das scheint allen, die sich genauer mit dem Phänomen der Erinnerung auseinandersetzen, eine gemeinsame Erfahrung zu sein: Je genauer man hinschaut, desto mehr zerfallen die Erinnerungen.
Memoiren kann nur schreiben und sie als nicht-fiktionales Werk verkaufen, wer keine Ahnung hat, womit er es bei dem Gegenstand einer Autobiographie zu tun hat.
Am 18. April 2008 um 13:22 Uhr
[…] das Emir R. Monegal mit Juan Carlos Onetti führte und das im gestern hier erwähnten Schreibheft Nr. 70 abgedruckt ist – neben zwei weiteren Onetti-Interviews (oder persönlicher: […]