Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski
••• Welche Voraussetzungen sind nun für den Beginn einer dichterischen Arbeit nötig?
- Vorliegen einer Aufgabe innerhalb der Gesellschaft, einer Aufgabe, deren Lösung nur mit Hilfe eines dichterischen Produkts denkbar ist: ein sozialer Auftrag. (Interessantes Thema für eine Spezialarbeit: die Nichtübereinstimmung des sozialen und des Verlagsauftrags.)
- Genaues Wissen oder, richtiger, Bewusstsein von den Bedürfnissen Ihrer Klasse (oder der Gruppe, die Sie vertreten) in dieser Frage, das heißt eine Zielsetzung.
- Material: Worte. Ständige Auffüllung der Vorratskammern und Speicher Ihres Schädels mit notwendigen, ausdrucksvollen, raren, erfundenen, erneuerten, erzeugten und allerlei anderen Worten.
- Betriebseinrichtung und Produktionsmittel: Feder, Bleistift, Schreibmaschine, Telefon. Kostüm für Milieustudium. Fahrrad für Fahrten in die Redaktion. Herbeigezauberte Mahlzeiten. Schirm, um im Regen schreiben zu können. Wohnfläche, groß genug, um bei der Arbeit auf und ab zu gehen. Verbindung mit einem Zeitungsausschnittbüro zwecks Zusendung von Material über Fragen, die die Provinz bewegen. Und so weiter, und so fort. Schließlich auch noch Pfeife und Zigaretten.
- Technik der Wortbearbeitung (unendlich individuell, stellt sich bei täglicher Arbeit erst im Laufe der Jahre ein): Reime, Versmaße, Alliteration, Bilder, Banalisierung des Stils, Pathos, Schlussstrophe, Titel, Disposition und so weiter, und so weiter.
Schon diese allgemein gehaltenen, elementaren Regeln der dichterischen Arbeit eröffnen neue Möglichkeiten für die tarifmäßige Einstufung und literarische Beurteilung poetischer Erzeugnisse.
Die Posten Material, Ausrüstung und Technik können unmittelbar in Form von Wertungspunkten angerechnet werden.
Liegt sozialer Auftrag vor? Ja. Zwei Punkte. Zielsetzung? Zwei Punkte. Gereimt? Ein weiterer Punkt. Alliterationen? Noch ein halber Punkt. Und für den Rhythmus ein zusätzlicher Punkt: das eigenartige Metrum machte eine Autobusfahrt erforderlich. Mögen die Kritiker ruhig lächeln, aber ich würde die Verse eines Alaskadichters (bei gleicher Qualität natürlich) höher einschätzen als beispielsweise die eines Einwohners von Jalta.
Im Ernst! Dem Alaskamann setzt die Kälte zu. Er muss sich einen Pelz kaufen. Und die Tinte im Füllhalter friert ihm ein. Der Mann in Jalta aber schreibt, Palmen im Hintergrund. An Orten, die auch ohne Verse schön sind.
Fortsetzung folgt
Am 15. April 2008 um 18:43 Uhr
Da sind Sie ja wie Sie leiben und leben, verehrter Dichter Majakowski! Und Sie sprechen auch akzentfrei Deutsch! Sie Schlawiner, Sie.
Darf ich Sie, mit Verlaub, darauf hinweisen, dass Sie unter Punkt 4 den Kaffee vergessen haben? Benötigt man auch die Nacht zum Arbeiten, steht man das ohne Kaffee nicht durch, und hat man geschlafen, reicht die Zigarette allein nicht, um sich an den Schreibtisch zurückzuquälen.
Ich bin übrigens ein Grönlanddichter, geht das bei Ihnen noch durch?