Wie macht man Verse?

11. April 2008

Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski

••• Über dieses Thema muss ich schreiben.

In zahlreichen literarischen Diskussionen, im Gespräch mit jungen Mitarbeitern verschiedener Schriftstellerverbände (RAP, TAP, PAP und wie sie alle heißen mögen), bei der Auseinandersetzung mit Kritikern war ich oft gezwungen, die alte Lehre von der Dichtkunst wenn nicht umzustoßen, so doch mindestens zu diskreditieren. Der völlig unschuldigen alten Dichtkunst selbst haben wir natürlich kaum ein Haar gekrümmt. (Sie bekam nur etwas ab, wenn allzu eifrige Verteidiger des alten Krempels vor der neuen Kunst hinter den breiten Rücken der Denkmäler Deckung suchten.)

Umgekehrt: indem wir die Denkmäler von ihren Piedestalen herunterholten und sie geräuschvoll hin und her zerrten, haben wir den Lesern erst die »Großen« von einer völlig unbekannten, noch unerforschten Seite gezeigt.

Kinder (junge literarische Richtungen ebenfalls) interessieren sich immer dafür, wie das Schaukelpferd von innen aussieht. Nach den Bemühungen der »Formalisten« liegen die Eingeweide der papiernen Rösser und Elefanten offen zutage. Sollten die Pferde dabei einigen Schaden davongetragen haben – Entschuldigung! Mit der Poesie der Vergangenheit herumzustreiten, ist nicht unseres Amtes sie ist für uns Lehrstoff.

Unser ständiger Hass trifft vor allem die romanzen-selig-nörgelnde Spießbürgerlichkeit. Alle, die alte Dichtkunst nur darum für groß halten, weil auch sie genau so geliebt haben wie Onegin seine Tatjana (welcher Gleichklang der Seelen!), weil auch ihnen Dichter verständlich sind (im Gymnasium gelernt!), weil Jamben auch ihren Ohren lieblich klingen.

Uns ist dieses seichte Affentheater deshalb verhasst, weil es um die schwierige und wichtige Kunst der Dichtung die Atmosphäre erotischer Emotionen schafft, die Atmosphäre des Glaubens daran, dass nur an der »ewigen Poesie« jegliche Dialektik abprallt und der Prozess der dichterischen Produktion einzig und allein darin besteht: den Blick verzückt nach oben zu richten in der Erwartung, der himmlische Geist der Poesie werde einem in Tauben-, Pfauen- oder Straußengestalt auf die Glatze herabschweben.

Diese Herrschaften sind unschwer zu widerlegen. Es genügt, die Liebe der Tatjana und »die Triebe, die einst Ovid so reich besang«, neben einen Entwurf des Ehegesetzes zu stellen, das puschkinsche »enttäuschte Lorgnon« Donezk-Kumpels vorzutragen, oder vor Demonstranten am 1. Mai herzulaufen und zu deklamieren: »Mein Onkel tut sehr brav und bieder!«

Nach Versuchen dieser Art dürfte wohl kaum ein junger Mensch, der vor Eifer brennt, alle Kraft für die Revolution einzusetzen, ernstlich Lust verspüren, sich mit einem so veralteten Handwerk wie dem Dichten zu befassen.

Darüber ist viel geschrieben und geredet worden. Der lärmende Beifall des Publikums war immer zunächst auf unserer Seite. Aber auf den Beifall folgten skeptische Stimmen: »Ihr zerstört nur und schafft nichts! Die alten Lehrbücher sind schlecht, wo aber sind neue? Gebt uns die Regeln für eure Dichtkunst! Gebt uns Lehrbücher!«

Der Hinweis darauf, dass die alte Dichtkunst anderthalb Jahrtausende existiert, unsere aber nur an die dreißig Jahre, ist als Entschuldigung wenig wirksam. Sie wollen schreiben und wollen wissen, wie man das macht? Warum man sich weigert, eine Sache als Dichtung anzuerkennen, die nach allen Regeln des Lehrbuchs mit untadeligen Reimen, in Jamben und Trochäen abgefasst ist?

Sie haben das Recht, von den Dichtern zu verlangen, dass sie ihre Berufsgeheimnisse nicht mit ins Grab nehmen.

Ich will von meinem Handwerk nicht als Haarspalter schreiben, sondern als Praktiker. Mein Aufsatz hat gar keine wissenschaftliche Bedeutung. Ich schreibe von meiner Arbeit, die, meinen Beobachtungen und meiner Überzeugung nach, sich im Grunde kaum von der Arbeit anderer Berufsdichter unterscheidet.

Fortsetzung folgt

2 Reaktionen zu “Wie macht man Verse?”

  1. perkampus

    wunderbar!

  2. Benjamin Stein

    Haha, warts nur ab; ich habe noch eine Handvoll Fortsetzungen von M. zugesandt bekommen!

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