••• Vor drei Jahren wurde in Yerushalayim auf dem Areal der Holcaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein neues Forschungs-, Bildungs- und Dokumentationszentrum eröffnet. Herzstück des Komplexes ist eine Ausstellung, die ausgehend von einem Einblick ins reiche jüdische Leben Europas zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Stationen des nazistischen Vernichtungswahns dokumentiert: der „gewöhnliche“ Antisemitismus, zivile Entrechtung, Rassegesetze, Deportationen, Ghettos, KZ, Vernichtungslager, SS-Todesbataillone und deren Kollaborateure…
Am Ende widmet sich die Ausstellung den Displaced Persons Camps, Sammellagern für in Deutschland gestrandete Überlebende, häufig auf dem Grund ehemaliger KZ, in denen das jüdische Leben wieder aufzuleben begann. Befreit, doch nicht frei.
Wir hatten vorgestern zwei Stunden eingeplant, am Ende waren wir fünf Stunden dort. Es ist eine sehr gute Ausstellung und die Architektur nach meinem Empfinden wirklich passend für diesen Ort.
Viele Details waren mir neu, etwa wie stark die jeweils nationalen Milizen am Morden beteiligt gewesen sind, dass in Bulgarien durch zivilen Widerstand und Intervention der Kirche eine ganze große Gemeinde gerettet werden konnte und wie viele im Euthanasie-Programm „bewährte Mannen“ direkt in den Vernichtungsdienst übergingen.
Ich war skeptisch, ob ich Yad Vashem besuchen soll. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich dort war.
Zwei Details werden mir sicher intensiv im Gedächtnis bleiben. Zum einen ist das ein Zitat Tucholskis, das ich hier nur in der Rückübersetzung zitieren kann, da ich das deutsche Original bislang nicht finden konnte:
Ein Land macht nicht nur aus, was es tut, sondern auch, was es toleriert…
Ich war bislang der Meinung, dass man ein Land, in dem sich die Dinge in untragbarer Weise entwickeln, einfach verlassen muss. Eine passive Einstellung, die ich sehr in Frage gestellt sehe, seit ich gestern diesen Satz von Tucholski las, denn er gilt für Menschen ebenso wie für Länder.
Das für mich persönlich bedrückendste Dokument war die Rede von Chaim Rumkowski, Vorsitzender des Judenrates im Ghetto von Łódź.
Ich bin wie ein Räuber zu euch gekommen, um euch das zu nehmen, was euch am meisten am Herzen liegt…
Gemeint waren damit die Kinder unter 9 Jahren. Rumkowski war von den Deutschen beauftragt worden, 20.000 Menschen für die umgehende Aussiedlung – sprich: Ermordung – zu benennen. In seiner Rede versucht er zu erklären, dass es besser wäre, die arbeitsunfähigen Alten, die Kranken und die ebenfalls zur Arbeit nicht fähigen Kinder unter 9 Jahren auszuliefern, um die anderen Bewohner des Ghettos zu retten.
Chaim Rumkowski – Vorsitzender des Judenrates im Ghetto von Łódź
Mir ist völlig klar, dass jegliche Aussage darüber, wie man selbst sich unter solchen Umständen verhalten würde, reine Spekulation ist. Dennoch: Während ich Rumkowski reden sah und hörte, konnte ich nicht anders, als mir zu sagen, das und allerspätestens das wäre für mich der Moment des Widersetzens mit der sicheren Konsequenz des eigenen Todes. Es kann nicht schlimmer sein, als die eigenen Kindern den Mördern zu übergeben. Diese Rede – vielleicht findet jemand in den Untiefen des Netzes den Wortlaut – ist unvergesslich.
Dass ich als Literat die Figur des Chaim Rumkowski ausserordentlich interessant finde, ist eine davon unabhängige Tatsache. Ich muss einmal recherchieren, ob über ihn bereits literarisch geschrieben worden ist.
Am 3. April 2008 um 17:08 Uhr
Gut fand ich, dass nicht nur die Stationen der Vernichtung dokumentiert waren. Das frühere rege Gemeindeleben wurde auch gezeigt und vor allem schön war, dass als letzte Station gezeigt wurde, dass doch auch „einige“ überlebt haben. Und sich daraus wieder jüdisches Leben entwickelt hat.
Oft enden die Berichte einfach mit der Vernichtung, und hier wurde weiter berichtet. So wie in diesem Museum habe ich das zum ersten Mal gesehen.
Am 23. April 2008 um 16:37 Uhr
[…] Diesem Heine-Zitat bin ich erst kürzlich wiederbegegnet — in Yad Vashem. Jene Bücherverbrennung ist nun bald 75 Jahre her. Was ich heute bei Szylla lese, war mir […]