lasst nur die Toten Tote sein. und legt sie schlafen unter Rinden
jetzt wo sie einmal Tote sind. ihr sollt sie binden fest
an Stricken unter schweren Steinen und keine Lilien auf die Gräber
die duften ja umsonst. stellt ihnen sieben Hütten drauf aus Stroh
die sind genug. da kommt nichts, nein, wenn Sehnen einmal reißen
und volle Herzen mal geschlagen sind. die schmalen Ohren doch mit Grind
und Erde jetzt. ach lasst die Toten schlafen, ihr.
den andern sollt ihr Wasser geben. wohl warmes Blut aus euren Kehlen
viel Milch, Muskat, drei Tüten Thymian, auch Zuckerhüte, wenn ihr habt
und manchmal eine Unze Gold. Vor allem sind sie durstig, sollt ihr wissen:
das Blut kühlt ihre Kehlen sehr und Wasser wühlt die Äcker auf. das macht
.die andern fester träumen.
Ulrike Almut Sandig, aus: „Zunder“,
Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke
© Ulrike Almut Sandig 2005-2007
••• Als ich in Ulrikes „Zunder“ stöberte und das Totengedicht zum ersten Mal las, wanderten meine Gedanken unwillkürlich zu der langen Tafel im „Gang der Erinnerung“ unserer neuen Synagoge am Münchner Jakobsplatz: über 4.500 Namen von Münchner Juden, die aus den Vernichtungslagern nicht heimgekehrt sind. Und ich dachte ebenso an eine ähnliche Namenstafel auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin Friedrichsfelde, auf der unter vielen anderen auch der Name meines Urgrossvaters steht, der 1933 in einem Gestapo-Gefängnis starb.
Also habe ich das Foto gemacht für diesen Beitrag. Doch dann kam Blaubart und die früheren Frauen und Gabrielas Gedichte über Liebe und Tod; und mit einem Mal fiel es mir auf: Vielleicht bist du hier ganz auf der falschen Spur und Ulrike fordert uns auf, mit den untoten Toten unserer Blaubartburg Schluss zu machen.
Das sind natürlich alles nur Vermutungen. Aber so bringe ich Ulrikes Gedicht nun hier als Abschluss dieser Strecke dramatischer Gedichte um Liebe, Tod und Tote.
PS: Mehr von Ulrike A. Sandig gibt es übrigens im aktuellen „Wespennest“ zu lesen, einer sehr schönen und lesenswerten österreichischen Literaturzeitschrift, die gestern zur Rezension hier eintraf und auf die ich also noch ausführlicher zurückkommen werde.
Am 11. Februar 2007 um 10:44 Uhr
ein ganz großes Gedicht, mehr mag ich dazu nicht sagen