Jorge Luis Borges: El Golem
Video: Yoleandro Gonzalez
unter Verwendung von Szenen Paul Wegeners Film „Golem“
••• Das war ein Zufallsfund. Dass Borges über den Golem geschrieben hat, war mir tatsächlich neu. Umso mehr freut es mich, dass p.- eine deutsche Übertragung in den Untiefen seiner Bücherregale finden konnte. Vielen Dank dafür.
Der Golem
Wenn (wie der Grieche im Kratylos sagt)
der Name Archetyp der Sache ist,
ist in den Lettern von Rose die Rose,
und im Wort Nil ist der gesamte Nil.
Es muß, aus Konsonanten und Vokalen,
dann auch jenen schrecklichen Namen geben,
der Gottes Wesen enthält und die Allmacht
geheim in Buchstaben und Silben birgt.
Ihn kannten Adam und die Sterne einst
im Garten, doch der Rost der Sünde ließ ihn
verwittern (sagen uns die Kabbalisten),
und die Geschlechter haben ihn verloren.
Unendlich sind die Schliche und die Unschuld
des Menschen, und so gab es einen Tag,
an dem das auserwählte Volk den Namen
in wacher Nacht des Judenviertels suchte.
Anders als andre, die nur vage Schatten
in vager Weltgeschichte hinterließen,
ist die Erinnerung immer noch lebendig
an Juda Löw, den Rabbiner zu Prag.
Da ihn nach Gottes Wissen dürstete,
ergab sich Juda Löw Permutationen
von Zeichen, schwierigsten Variationen,
und endlich sprach er dann Den Namen aus,
der Schlüssel ist, Tor, Echo, Wirt, Palast
sprach ihn für ein Ding, das er ungeschickt
mit seinen Händen formte, es sie Rätsel
der Zeichen, der Zeit und des Raumes lehren.
Das Scheinbild hob die schlafbeschwerten Glieder
und es erblickte Farben und Gestalten,
begriff sie nicht, verloren in Geräuschen,
und furchtsam suchte es, sich zu bewegen.
Wie wir sah es sich nach und nach gefangen
in diesem Netz der tönenden Bezüge
von Vorher, Nachher, Gestern, Während, Nun
und Rechts, Links, Ich, Du, Jene, Andere.
(Der Kabbalist, der sich zum Schöpfer aufschwang,
nannte die grobe Kreatur den Golem;
diese Wahrheiten finden sich bei Scholem,
an einer Stelle seines klugen Werks.)
Der Rabbi lehrte ihn das Universum.
„Hier ist mein Fuß, da deiner, dort ein Seil“,
und ihm gelang nach Jahren, daß das Monster
recht oder schlecht die Synagoge fegte.
Vielleicht war da ein Fehler in der Schreibung
oder der Aussprache des heiligen Namens
gewesen, denn trotz der hohen Magie
lernte der Menschenlehrling nie zu sprechen.
Die Augen, eher Hunds- als Menschenaugen,
und eher eines Dings denn eines Hundes,
verfolgten in dem ungenauen Zwielicht
der Möbel der Gemächer den Rabbiner.
Im Golem war Unheimliches und Rohes;
der Kater des Rabbiners floh vor ihm.
(Bei Scholem ist der Kater nicht erwähnt,
doch ahnte ich ihn über all die Jahre.)
Zu seinem Gott erhob er Kinderhände,
mit den Gebetsgebärden seines Gottes,
oder er neigte sich mit blödem Lächeln
in leeren morgenländischen Salaam.
Mit Zärtlichkeit sah ihn der Rabbi an,
und mit Entsetzen. ‚Wie (so dachte er)
konnte ich diesen elenden Sohn erzeugen,
die weise Untätigkeit so verlassen?
Warum mußte ich der unendlichen
Reihung ein weiteres Symbol anfügen,
der in Ewigkeit fortgewirkten Menge
weitere Ursache, Wirkung, Pein?‘
In Stunden der Beklemmung und des Zwielichts
betrachtete er lange seinen Golem.
Wer weiß, was Gott empfunden haben mag,
wenn er zu Prag seinen Rabbiner sah?
Jorge Luis Borges (1958)
Am 15. Februar 2008 um 03:14 Uhr
es war mir wie immer ein vergnügen.