Ich brauche Liebe! Liebe! Immerzu. Und ich will Liebe geben, weil ich zu viel davon habe. Niemand begreift, daß ich nichts anderes will, als mich zu verschwenden.
••• Wir waren bei Klaus Kinski stehengeblieben. Er war einer der Grössten. Und nicht nur als Schauspieler. Ich habe ihn auch als Autor geliebt. Seine Prosa ist eine Energieexplosion. Man wird atemlos beim Lesen und kann nicht aufhören.
Seine Autobiographie ist in mehreren, stark unterschiedlichen Ausgaben erschienen, da verschiedene Klagen – unter anderem von Familienangehörigen – ihn zu diversen Kürzungen zwangen. Man sollte unbedingt versuchen, antiquarisch ein Exemplar der Erstausgabe mit dem Titel „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund…“ zu bekommen. Es enthält diverse Passagen, die in der heute angeboteten Edition fehlen.
Ob es sich bei diesem Buch um eine Autobiographie handelt, sei dahingestellt. Authentisch Kinski ist das Buch allemal. Manche nennen es erotisch und vergleichen Kinski mit Henry Miller. Für andere ist es Pornographie. Mich haben diese Einordnungen nie gekümmert. Ich lese nach wie vor immer wieder gern in diesem Buch. Besonders in kleinmütigen Stunden: Hier haben wir wenigsten jemanden, der absolut unerschütterlich von sich überzeugt war.
Da wir auch in der jetzigen Wohnung kein Badezimmer haben, waschen wir uns in der Küche. Bei dem engen Raum, auf dem wir leben, hat keiner von uns das Recht, sich in der Küche einzuschließen, während er sich wäscht. Meine Schwester, die jetzt zwölf ist, fängt an, sich zu genieren. Sie hat einen steinharten Po, und ihre Brüste quellen so ungeduldig, daß ihnen das Hemd zu eng wird. An ihren baumwollenen Höschen zeichnet sich deutlich und schwer ihre Pflaume ab.
Ich lebe fast ausschließlich auf der Straße. Im Winter lege ich mich auf die Gitter der U-Bahn-Schächte. Jedesmal, wenn unter dem Asphalt ein Zug langdonnert, wird ein Strom von stinkender, aber warmer Luft nach oben durch die Gitter gepreßt und taut meinen Körper für Augenblicke auf. So aufgeladen springe ich hoch und renne meinen Beschäftigungen nach. Wenn ich wieder durchgefroren bin, werfe ich mich auf das nächste Gitter.
Im Sommer ist die Straße heiß und stickig. Die öffentlichen Schwimmbäder kosten Eintritt. Wannsee ist zwanzig Kilometer weit. Die Havelseen sind auch zu weit. Im Grunewaldsee kann man kaum nebeneinander stehen. Die sogenannten Planschbecken sind schwärzer als ein Moorbad und pißwarm, und manchmal schwimmt eine Kackwurst genau in Augenhöhe auf einen zu.
Ja. Es gibt Möglichkeiten. Wir können an der rückwärtigen Seite einer Straßen- oder S-Bahn durch ganz Berlin und noch viel weiter fahren. Wenn eine andere Bahn entgegenkommt, muß man sich ganz flach an die geschlossene Tür, an der man hängt, anschmiegen, sonst wird man erbarmungslos zwischen den beiden Zügen zermalmt. Einem von uns wird dabei der Kopf abgerissen. Die Fahrgäste können nach dem Unfall gar nicht richtig zugucken, wie die Feuerwehrleute seine Leiche stückweise vom Triebwerk klauben. Die Fensterscheiben der beiden Bahnen sind mit dem Gehirn des Jungen ganz und gar verschmiert. Ja, wir kennen alles, und es gibt nichts, was wir nicht können.
Wir legen uns in den Rinnstein und lassen uns von den riesigen Gießkannen der Sprengwagen der Stadtreinigung duschen. Das Wasser ist kühl und noch nicht abgestanden, weil es frisch getankt und gleich verbraucht wird. Da liegen wir nebeneinander und quasseln über die Erfolge oder Mißerfolge des vergangenen Tages wie Geschäftsleute in der Sauna. Wenn der Wagen über uns weg ist, schnellen wir hoch, überholen ihn, legen uns wieder seitlich vor ihm in die Gosse und wiederholen das ganze so lange, bis er abdreht.
Die Fahrer der Sprengwagen hassen das und treten nach uns, wenn sie uns erwischen. Ein Junge verblutet bei dieser Baderei buchstäblich in den Gulli. Er liegt im Rinnstein, und ich will mich gerade neben ihn schmeißen, als er sich noch einmal aufrichtet. Das eine Ende des seitlich an den Sprengwagen angebrachten langen Rohrs, aus dem das Wasser aus Hunderten von kleinen Löchern braust, schlitzt ihm die Halsschlagader auf.
Klaus Kinski, aus: „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“
© 1988 Rogner & Bernhardt, München
Am 21. Mai 2008 um 00:12 Uhr
[…] “Ich brauche Liebe” schreibt Kinski auch über den Abend, an dem er vor voller Halle “Jesus Christus […]
Am 30. Mai 2009 um 19:21 Uhr
[…] zurück in meine Bude nach Zwickau gefahren. Währrend auf der Hinfahrt, ich wollte Kinski lesen, ein Typ aus Jena, den Platz neben mir einnahm, mir seine Geschichten vom Fussball und von […]
Am 12. August 2009 um 22:26 Uhr
[…] Einen, der unerschütterlich von sich überzeugt war, haben wir vor kurzem erwähnt. Charlotte – und ich selbst übrigens auch – […]