Der Wein der Lumpensammler
Oft kommt bei der Laterne rotem Schimmern,
Das jeder Windstoss zucken macht und flimmern,
Im Labyrinth der Vorstadt dumpf und feucht,
Darin die Menschheit wie in Gärung keucht,
Ein Mann daher, der taumelnd Lumpen sammelt,
An Mauern rennt und wie ein Dichter stammelt,
Den Kopf im Nacken, trotz der Späher Schar
Macht er der Welt erhabne Pläne klar.
Er schwört zu Gott und heiligen Geboten,
Erhebt Gefallene und stürzt Despoten,
Und unterm Himmel, der sein Baldachin,
Berauscht der eignen Tugend Leuchten ihn.
Dies Volk, von Not gepeinigt und getrieben,
Von Arbeit wund, vom Alter mürb gerieben,
Gebeugt von Schutt und Kehricht lahm und matt,
Der wüste Auswurf einer Riesenstadt,
Es zieht daher, vom Fassgeruch umflossen,
Ergraut im Krieg mit lärmenden Genossen,
Der Schnurrbart hängt zerfetzten Fahnen gleich,
Vor ihnen baut sich auf ein strahlend Reich.
Die Banner wehn, und Lorbeer schmückt die Hallen,
Sie bringen in des Festrauschs Jubelschallen,
Bei Sonnenpracht, Trompeten, Trommelschlag
Dem liebetrunknen Volk den Ehrentag.
So lässt, der eitlen Menschheit zum Geniessen,
Der Wein sein Gold durch alle Lande fliessen,
Durch Menschenkehlen zieht er singend hin,
Sein Reichtum macht zum wahren König ihn.
Den Groll, das Leid der Armen zu ertränken
Musst‘ Gott uns reugequält den Schlummer schenken.
Der Mensch erfand, dem alten Fluch zum Hohn,
Den Wein, den Wein, der Sonne heiligen Sohn!
Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
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