Das Unlösbare
I
Eine Form, ein Hauch, ein Seelenschwingen
Schied vom Äther, fiel aus lichtem Blau
In des Sumpfes Schlamm und bleiern Grau,
Wo kein Himmelslicht zu ihm kann dringen,
Und ein Engel, töricht und verirrt,
Liess von Liebe sich ins Dunkel locken,
Wilder Albdruck macht das Herz ihm stocken,
Und er wehrt sich angstvoll und verwirrt,
Wie ein Schwimmer in der Nacht, o Grausen!
Gegen eines Wirbelstroms Gewalt,
Dessen Sang wie Sang von Narren schallt,
Der im Kreis sich dreht mit tollem Brausen;
Und ein Mensch, behext von böser Macht,
Will mit nutzlos hastigem Tasten fliehen
Einen Ort, wo Wurm und Schlangen ziehen,
Sucht umsonst die Tür in finstrer Nacht;
Ein Verdammter muss zum Abgrund steigen,
Keine Lampe in der Hand er trägt,
Fauler Dunst ihm feucht entgegenschlägt,
Endlos sich die steilen Treppen neigen,
Scheussliches Getier harrt unten sein,
Dessen wilden Blickes Phosphor funkeln
Macht die schwarze Nacht noch schwärzer dunkeln,
Macht nichts sichtbar als den Blick allein.
Im Polareis liegt ein Schiff gefangen,
Wie in einer Schlinge von Kristall,
Sucht vergebens in dem Riesenwall
Nach dem Spalt, durch den es einst gegangen.
Bilder eines Lebens, welches nie
Aus den Netzen des Geschicks zu lösen,
Bilder, die da zeigen, dass dem Bösen
Alles, was er tat, nach Wunsch gedieh.
II
Zweisamkeit, drin Licht und Dunkel streitet,
Lebt im Herzen, das sein Spiegel ward!
Born der Wahrheit klar und schwarz, drauf zart
Eines Sterns blasszitternd Licht hingleitet.
Doch ein Leuchtturm, höhnend in der Nacht,
Eine Fackel von des Satans Gnaden,
Einziger Trost und Ruhm auf irren Pfaden
Ist das Wissen um des Bösen Macht.
Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
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