Der Springbrunnen
Dein Aug‘ ist müd umschattet,
Mein Liebchen, schliess es zu,
Im Arm mir, sanft ermattet,
Die Lust geniesse du.
Lass uns dem Springbrunn lauschen,
Der unaufhörlich singt
Und heut mit sanftem Rauschen
Die Liebesnacht durchdringt.
Der Strahl, der sprühend
Zum Himmel steigt,
Drin Phöbus blühend
Vielfarbig sich zeigt,
In Tränen verglühend
Zur Erde sich neigt.
So deine Seele singend
Sich in Verzückung hebt
Und kühn sich aufwärts schwingend
Zu fernen Himmeln schwebt.
Um dann in müden Wellen,
Hinschmachtend erdenwärts,
In heimlichen Gefallen
Zu strömen in mein Herz.
Der Strahl, der sprühend
Zum Himmel steigt,
Drin Phöbus blühend
Vielfarbig sich zeigt,
In Tränen verglühend
Zur Erde sich neigt.
Du, hold die Nacht durchscheinend.
An deine Brust gelehnt
Lausch‘ ich dem Lied, das weinend
Aus Brunnentiefen tönt;
Und führ im Blätterschauern,
Im Quell, der raunend schwillt,
Der Mondnacht weiches Trauern,
Der Liebe Spiegelbild.
Der Strahl, der sprühend
Zum Himmel steigt,
Drin Phöbus blühend
Vielfarbig sich zeigt,
In Tränen verglühend
Zur Erde sich neigt.
Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
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