An eine Malabaresin
So fein sind Hand und Fuss, so weich der Hüften Biegen,
Europens Schönste müsst‘ im Wettstreit dir erliegen;
Des Künstlers Blick voll Lust den holden Körper schaut
Und deiner Augen Samt, der schwärzer als die Haut.
Da, wo dein Gott dich schuf in heissen, blauen Gründen,
Ist deine einzige Pflicht, des Herren Pfeife zünden.
Mit Wasser duftend frisch füllst du für ihn den Krug
Und wehrst von seinem Bett der giftigen Mücken Flug.
Und wenn im Morgenwind leis singen die Platanen,
Kaufst du dir Ananas und saftige Bananen.
Auf nacktem Fuss läufst du, wohin dein Herz dich zieht,
Und trällerst vor dich hin ein altes, fremdes Lied.
Und senkt der Abend dann des Scharlachmantels Schatten,
Streckst du die Glieder sanft auf den geflochtenen Matten,
Und Träume flattern auf, den bunten Vögeln gleich,
Beschwingt und zart wie du, wie du an Anmut reich.
Was zieht dich, glücklich Kind, nach unsrem fernen Lande,
Von Menschen übervoll und voll von Leid und Schande,
Dass du dich anvertraust den Schiffern und den Winden
Und heissen Abschied nimmst von deinen Tamarinden?
Du, halbbekleidet nur mit zartem Musselin,
Wenn dich der Hagel trifft, Schneestürme dich umziehn,
Wie wirst du weinen um die Tage, die verrannen,
Wie wird der Schnürleib dir die Hüften roh umspannen!
Und wenn du müde ziehst durch unsren Schlamm und Kot,
Den seltsam fremden Reiz verkaufst ums Abendbrot,
Dann wird dein Auge starr durch trübe Nebel träumen,
Dann siehst du fern und wirr Schatten von Kokosbäumen.
Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
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