Schwermut
Ich bin ein Fürst in Landen dumpf und kalt,
Bin reich und machtlos, jung und dennoch alt.
Ein Fürst, der seine Höflingsschar verachtet,
Die Tiere selbst voll Überdruss betrachtet,
Der taub für jeder Freude Lockruf scheint,
Taub für sein Volk, das vor dem Schlosse weint.
Des Narren Lied voll toller Spukgedanken
Erheitert nicht den grausam kalten Kranken,
Zum Sarg wird ihm sein goldnes Ruhebett.
Die Damenschar umschmeichelt das Skelett,
Weil es ein Fürst, mit schamloser Gebärde,
Und jede hofft, dass ihr ein Lächeln werde.
Der Weise selbst, der Gold im Blei erkannt,
Hat die verderbten Säfte nicht gebannt.
Kein Bad in Blut, wie es die Römer boten
Den altersschwachen, zitternden Despoten,
Erneute Kraft in diesen Leichnam giesst,
Drin statt des Blutes grüne Lethe fliesst.
Charles Baudelaire
aus: „Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen“
Übertragung: Therese Robinson
© Georg Müller Verlag München (1925)
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