Lunch mit der Verlegerin Adriana Hidalgo, Verlagsmitarbeitern und Gästen
••• Ich schlafe gut. Das wage ich kaum zu sagen, denn meine Frau ist mit dem kleinen Leo unterdessen in Israel und schläft dort ebenso wenig wie wir es nun mal seit Monaten gewohnt sind und beinahe daran zugrunde gehen. Die Zeitumstellung konnte mir jedenfalls nichts anhaben. Am ersten Abend in Santiago habe ich mich schlafen gelegt und durchgeschlafen. Das ist mir bei vorherigen Reisen nach Amerika so nicht gelungen. Dieses Mal – kein Problem.
Jedenfalls war ich heute recht spät auf und habe mich gleich an die Artikel gesetzt, die nun hier nachzulesen sind. Ich war ja im Rückstand. Gegen Mittag wurde ich vom Hotel abgeholt, um meine argentinische Verlegerin Adriana Hidalgo zum Lunch zu treffen. Natürlich war nicht nur sie dabei. Begleitet wurde sie vom Cheflektor Fabián Lebenglik (ich liebe diesen Namen!) und Verlagsmitarbeitern. Dazu kamen Gäste von der deutschen Botschaft und dem Goethe-Institut.
Adriana Hidalgo Editore (Stilleben)
So habe ich nun etwas mehr über den Verlag erfahren können. Adrianas Großvater ist in den 1920er Jahren aus Spanien eingewandert und betrieb die größte Buchhandlung von Buenos Aires. Er gliederte ihr einen eigenen Verlag an, und beides blieb nahezu 80 Jahre und über mehrere Generationen im Familienbesitz. Adriana Hidalgo arbeitete zunächst viele Jahre in diesem Familienunternehmen. Als es schließlich verkauft wurde, gründete sie ihren eigenen Verlag, der seit nun schon 17 Jahren existiert und ein sehr beeindruckendes Programm vorweisen kann.
Zwischen 22 und 24 Titel erscheinen pro Jahr: Fiction, Lyrik, geisteswissenschaftliche Titel und Kunstbände. Das Programm ist sehr international. Selbst viele der spanisch-schreibenden Autoren, die bei Adriana Hidalgo veröffentlicht sind, leben tatsächlich in anderen Ländern, zum Teil seit Jahrzehnten. Darüber hinaus spielen auch Übersetzungen eine wichtige Rolle. Auch im Vertrieb geht es der Verlag international an. Der gesamte spanische Markt wird beliefert. Das sei, so Adriana, eine gute Versicherung: Gibt es in Mexico eine Krise, läuft es dafür vielleicht gerade in Argentinien oder Uruguay besser. Und in Spanien würden die Übersetzungen aus Lateinamerika sogar lieber gelesen als die in Spanien entstandenen. Sie seien lebendiger, moderner.
Verlegerin Adriana Hidalgo und Lektor Fabián Lebenglik
Die Bücher sind zumeist Paperbacks in französischer Broschur wie auch die argentinische Ausgabe der »Leinwand«, gedruckt auf sehr schönem Papier. Die Lyrikbände haben mir besonders gefallen, gesetzt in einer sehr angenehmen und etwas größer als üblichen Type. Schon beim Anfassen und Aufschlagen machen diese Bücher Lust zum Lesen.
Der Verlag befindet sich in einer sehr noblen Gegend von Buenos Aires. Wohl wegen des Pariserischen Flairs werden hier gern Foto-Shootings veranstaltet. An zweien sind wir vorbeigelaufen, als wir vom Restaurant zum Verlag liefen. Die zwölf Mitarbeiter haben es eher eng. Auf zwei Etagen teilen sie sich den Platz mit – natürlich! – vielen Büchern.
Wir haben nicht nur über Literatur gesprochen, sondern auch über Argentinien, speziell die letzte Militärdiktatur. Meine Verbindung mit Chile rührt ja gerade von den Berichten über den Putsch und die Pinochet-Diktatur her. Über Argentinien haben wir in der DDR hingegen nichts erfahren. Der Grund ist ein natürlich ideologischer: In Chile war das Experiment einer auf demokratischem Weg eingeläuteten sozialistischen Umwälzung durch den Putsch beendet worden. Dieser Umstand sicherte den Exilanten die Hilfe der DDR und uns DDR-Bürgern Teilhabe an dieser aktuellen chilenischen Geschichte. Die Argentinier hatten versäumt, sich eine sozialistische Regierung zu wählen. So hatte hier der Putsch nur eine imperialistische Herrschaft durch eine andere abgelöst – kein Nachrichtenwert für DDR-Bürger offenbar.
Über die argentinische Militär-Diktatur habe ich erst später aus Büchern und Filmen erfahren. Adrianas Vater gehörte zu den tausenden Opfern. Das hat sie mir nicht selbst erzählt, wohl aber, dass Argentinien, nachdem es zum ersten Mal eine Phase von 30 Jahren Demokratie hinter sich hat, gegen Militärherrschaft gewappnet scheint. Dass die Demokratie nie wieder aufs Spiel gesetzt werden dürfe, sei heute gesellschaftlicher Konsenz.
Nur keine vorschnellen Schlüsse: Das ist … ein Fluss!
Als ich erwähne, dass ich unbedingt den Rio de la Plata noch besuchen wolle, empfiehlt mir Fabián, einen Abstecher zum »Parque de la Memoria«, einer Parkanlage am Rio de la Plata, die – von diversen Künstlern gestaltet – als Mahnmal für die Opfer der Militärdiktatur dient. Den Rat habe ich gern befolgt.
Der Rio de la Plata ist für sich schon eine Sehenswürdigkeit. Man meint, am Meer zu stehen. Tatsächlich ist es aber die kilometerbreite Mündung des Flusses ins Meer. Mit dem Schiff fährt man 200 km quer hinüber nach Montevideo in Uruguay. Das Wasser sieht so schmutzig aus, dass man sicher nicht in Versuchung gerät, hier baden zu wollen.
Dieser gewaltige Fluss hat auch eine grauenvolle Geschichte zu erzählen. Viele der »Verschwundenen« wurden über ihm aus dem Flugzeug abgeworfen und ins Meer fortgetragen. An sie und speziell das mit 14 Jahren vielleicht jüngste Opfer soll eine Installation von Claudia Fontes erinnern. Auch der Schüler Pablo Míguez wurde ermordet und über dem Fluss abgeworfen. In Erinnerung an ihn steht nun eine lebensgroße Figur mitten im Wasser des Rio de la Plata.
Claudia Fontes: Reconstrucción del retrato de Pablo Míguez