La Abadía

3. Oktober 2016


La Abadía Centro de Arte y Estudios Latinoamericanos, Buenos Aires

••• Übersetzer zählen zu den dankbarsten Lesern. Wer liest schon mit einer solchen Aufmerksamkeit für alle Details eines Textes?! Das ist mir am vergangenen Freitag einmal mehr bewusst geworden, als ich im »Centro de Arte y Estudios Latinoamericanos« bei einem Workshop von Übersetzern zu Gast war. Geleitet wurde die Veranstaltung von Martina Fernández Polcuch, die hier in Buenos Aires Deutsch und Übersetzng unterrichtet und u. a. bei den vielen Interviews hier meine Übersetzerin ist. Das besondere an diesem Workshop: Nicht nur gestandene Übersetzer und Übersetzerinnen konnten teilnehmen, sondern die meisten Teilnehmerinnen waren fortgeschrittene Studentinnen von Martina.

Die Runde hatte sich »Ein anderes Blau« vorgenommen. Jeder hatte daraus fünf Passagen übersetzt, eine davon ein Gedicht:

/…/ Wundert dich nicht dein glück Beim zwiebelschneiden Die erlaubten tränen? Schrecken dich nicht deine träume in denen du messer schleifst mit breiten glänzenden klingen um den geliebten zu töten? Ängstigt dich nicht deine kunst der verkleidung? Schmerzt sie dich nicht wie den tropfen Regen der die
berührung ersehnt deiner haut Wenn er rinnt über die ewig haftende schminke auf deinem sterbensgesunden gesicht? Was kann dich noch verwunden Noch schrecken Im Vorübergehen Brennen dich glühende eisen Und du bleibst stumm.

In Zweiergruppen verglichen die Teilnehmer ihre Übertragungen und berichteten im Anschluss über ihre Übereinstimmungen und Differenzen sowie spezielle Schwierigkeiten. Das Gedicht wurde in zehn Variationen vorgetragen. Schon allein vom Klang des Spanischen kann man besoffen werden. Es war enorm spannend zu sehen, wie die Übersetzer sich dem Gedicht angenähert hatten. Immerhin birgt es einige Schwierigkeiten: Es ist im Fließtext gesetzt, in Kleinschreibung. Großbuchstaben markieren hier den Verswechsel anstelle eines Zeilenumbruchs. Die Verse gehen ineinander über, so dass bspw. Vers 1 und 2 zusammen einen Sinn ergeben, aber auch Vers 2 und 3 zusammen als ein Vers verstanden werden können. Hinzu kommt der Rhythmus und einige Gemeinheiten wie etwa das Wort »sterbensgesund«, für das die Teilnehmer in zehn Übersetzungen auch zehn Varianten präsentierten.


La Abadía Centro de Arte y Estudios Latinoamericanos, Buenos Aires

Natürlich hat mich besonders gefreut, dass sich die Runde für »Ein anderes Blau« entschieden hat. Das lässt mich hoffen, dass es eines Tages auch von diesem schwierigen Buch, das ich so sehr liebe, eine spanische Übersetzung geben wird. Niemand übrigens hat hier beklagt, dass der Text doch so schwer verständlich sei oder dergleichen Argumente, die dafür verantwortlich waren, dass das Buch in Deutschland so lange nicht erscheinen konnte. Im Gegenteil: Das Interesse der Journalisten in den Interviews an diesem Text ist nicht weniger groß als das an »El lienzo«.


La Abadía Centro de Arte y Estudios Latinoamericanos, Buenos Aires

Das »Centro de Arte y Estudios Latinoamericanos« hat seine Heimstatt übrigens in einem früheren Mönchskloster. Das Gebäude ist spektakulär. Neben Ausstellungen, einem Café im oben gelegenen Innenhof gibt es hier ständig wechselnde kulturelle Ereignisse. Das Filba-Festival hat einen Großteil der Veranstaltungen hier angesiedelt.


La Abadía Centro de Arte y Estudios Latinoamericanos, Buenos Aires

So fand auch die abendliche Podiumsrunde im Auditorio von »La Abadia« statt. Vivi Tellas hatte absagen müssen. So sprach Autor und Journalist Pedro Rey mit mir und dem brasilianischen Autor Bernardo Carvalho über Identitätsüberschneidungen: Leben Autoren in gewisser Weise die Leben ihrer Figuren? Oder leben diese vielleicht das Leben, das der Autor sich nicht zu leben wagt? Was macht das mit uns, und was bedeutet das für die Figuren? Die Debatte war sehr erfrischend, denn zwischen Carvalho und mir, unseren Ansichten zum Schreiben und unseren literarischen Methoden gibt es erhebliche Differenzen. Es tat der Debatte gut, dass wir diese Unterschiede ohne Verbissenheit aufzeigen, besprechen – und gelegentlich auch belächeln konnten.


La Abadía Centro de Arte y Estudios Latinoamericanos, Buenos Aires

Interviews gab es um die Mittagszeit an diesem Tag entgegen dem Plan nur zwei. Der Interview-Marathon sollte erst am nächsten Tag folgen.

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