Eterna Cadencia, Buenos Aires
••• Das hohe Interesse der Zeitungen hier an »El lienzo« und damit an meinem Besuch hat mich wirklich überrascht. Im Vorfeld hatte ich bereits per Mail ein Interview für »Perfil« gegeben, das inzwischen erschienen und auch online nachzulesen ist. Zwei weitere schriftliche Interviews sollen folgen, wenn ich schon wieder zu Hause bin. Hier begannen die Interviews am Freitag und gingen am Samstag in die zweite Runde: vier Stunden für drei Zeitschriften. Am meisten Zeit nahm sich für »La Nación« Pedro Rey, der am Vortag schon das Podiumsgespräch mit Bernardo Carvalho und mir moderiert hatte.
Eterna Cadencia, Buenos Aires
Am Samstag fanden die Interviews im Lounge-Bereich der Buchhandlung »Eterna Cadencia« statt, ein willkommener Grund, erneut dorthin zu gehen. Was für ein Ort! Es ist ja nicht nur eine Buchhandlung, sondern auch Café und Bar, Lounge und Sitz des gleichnamigen, vom Besitzer der Buchhandlung, Pablo Braun, gegründeten Verlages. Im Obergeschoss haben auch die Organisatoren des Filba-Festivals ihre Büros.
Die Lounge-Situation hatte Vor- und Nachteile. In die weichen Sofas versunken, verliert man natürlich an Spannung, aber das verleitet zum Plaudern, was den Interviewern sicher entgegengekommen sein wird. Ich bedauere zwar jetzt schon, dass ich die zu erwartenden Artikel nicht selbst lesen kann. Ganz froh bin ich allerdings, dass so das Gesagte hier bleibt. Entweder wage ich mit dem Alter mehr, oder es liegt am Ort, dem Entferntsein von Deutschland, dass ich freier von der Leber rede. Ich habe ohnehin keine Lust auf political correctness. Dann schon mal lieber eine steile These auch mit Verve vertreten, selbst wenn man im Irrtum ist.
Eterna Cadencia, Buenos Aires
Diese Interviews hätten nie so gut gelingen können, hätte ich nicht eine phantastische Übersetzerin zur Seite bekommen. Martina Fernández Polcuch hat etwas hinbekommen, das ich so noch nicht erlebt habe. Wird man in einer solchen Gesprächssituation direkt übersetzt, muss man oft die Antworten für den Übersetzer portionieren. Das hilft dem Übersetzer, den Faden nicht zu verlieren. Man selbst verliert ihn dafür umso leichter. Ganz anders mit Martina. Ich konnte meine Antworten ohne Unterbrechung geben. Und sie übersetzte en suite nach ihren magischen Notizen. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich freue mich, dass sie auch morgen bei der Veranstaltung im Goethe-Institut übersetzen wird.
Eterna Cadencia, Buenos Aires
Da war noch etwas, nicht wahr? Am Abend hätte ich in die Synagoge gehen sollen, denn es ist Rosh Hashanah. Ich war von der Direktorin der jüdischen Schule »Tarbut« eingeladen. Spät habe ich zugesagt, und als ich schließlich schon angezogen war und mich auf den Weg gemacht hatte, blieb ich nach wenigen Schritten stehen, kehrte um und blieb im Hotel. Die religiöse Krise dauert an. Und seit etwa drei Jahren kulminiert diese Krise jeweils um die Hohen Feiertage herum.
heute ist über mich
schon alles gesagtdas urteil ist längst
gesprochen
Vor fünfeinhalb Jahren habe ich das geschrieben. Damals war ich erschrocken über die plötzlich empfundene Ferne. Sie ist nicht geringer geworden, im Gegenteil.
Immerhin: Allen Lesern, jüdischen wie nicht-jüdischen, sei an dieser Stelle ein gutes neues Jahr gewünscht, ein mildes Urteil. Mögen alle zu einem guten Leben eingeschrieben sein!