August-Everding-Saal in Grünwald
••• Mein früherer »Hausmusiker« Linus Roth ist ebenso wie ich umgezogen. Neben seinen Auftritten unterrichtet er nun auch. Im letzten Oktober wurde er auf eine Professur an das »Leopold-Mozart-Zentrum« der Universität Augsburg berufen. Gestern spielte er in Grünwald, Grund genug, einen Ausflug in den grünen Münchner Villenvorort zu unternehmen.
Im letzten April habe ich über das Konzert in Augsburg berichtet. Wie damals handelte es sich auch gestern um ein Benefiz-Konzert, dieses Mal zugunsten der Palliativstation des Harlachinger Krankenhauses.
Das interdisziplinäre Team der Palliativstation Harlaching begleitet Menschen mit einer unheilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung. Überwiegend sind dies Patienten mit fortgeschrittenen Nerven-, Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ziel jeder einzelnen Behandlung ist die Linderung der bestehenden Beschwerden, die Verbesserung der Lebensqualität und die Entlassung nach Hause oder in eine Pflegeeinrichtung.
Allzu oft verbirgt sich dahinter unbeschönigt dies: Sterbebegleitung bei möglichst gelinderten Schmerzen. Viele »Leistungen«, die in solchen Fällen dem Sterbenden den Abschied und Weggang erleichtern können, werden von den Krankenkassen nicht gezahlt. Bedeutet die Arbeit im Hospiz ohnehin größten persönlichen Einsatz und emotionale Anteilnahme, wird sie noch erschwert durch fehlende finanzielle Mittel. Der »Förderverein Palliativstation Harlaching e. V.« wurde gegründet, um hier Abhilfe zu schaffen. Durch Fördermitgliedschaften, regelmäßige oder auch einmalige Spenden werden zusätzliche Mittel für den Betrieb der Palliativstation bereitgestellt. Linus Roth und José Gallardo haben sich entschlossen, die Aktivitäten des Vereins durch ein Benefizkonzert zu unterstützen.
Ich höre Linus am liebsten live. Unterdessen besitze ich mehrere Aufnahmen, aber ich bin noch nicht dahintergekommen, warum ich sein Spiel live um soviel mehr genießen kann als aus der Konserve. Ein Vergleich war gestern möglich. Roth/Gallardo begannen mit der Sonate d-Moll op. 108 von Brahms, die auch auf ihrer Brahms-CD von 2011 zu hören ist, ein eingängiger Einstieg für das Publikum. Dem wurde mit dem folgenden Stück dann etwas mehr abverlangt. Mieczysław Weinberg (1919-1996) war mir bis gestern kein Begriff. Seine Sonate Nr. 4 op. 39, die gestern als zweites Stück gespielt wurde, erinnerte mich gelegentlich an Schostakowitsch, dann wieder an Smetana, wohl wegen der diversen offensichtlichen Anlehnungen an osteuropäisches Liedgut, was für meinen Geschmack oft zu folkloristisch ausfiel. Irritierend war für mich die Mischung zwischen »leichter Muse« und Schostakowitsch-Klangwelt.
Nach einer Pause gab es zunächst ein Wiederhören: Über Szymanowskis »Notturno und Tarantella« habe ich hier schon geschrieben, eine musikalische Brikolage, die mir bei jedem Wiederhören Spaß macht. Im Anschluss noch einmal Mieczysław Weinberg, diesmal mit einer ausgestellt (und unverstellt) folkloristischen Färbung in der »Rhapsody über moldawische Themen op. 47/3«, eingängig, kurzweilig und technisch sehr anspruchsvoll. Überhaupt hatte Linus Roth im zweiten Teil des Programms sein ganzes technisches Können unter Beweis zu stellen. Fast folgerichtig lieferten die Künstler als Zugabe den halsbrecherischen und technisch extrem schwierigen »Tanz der Kobolde« von Antonio Bazzini (1818-1897). Es ist mir immer wieder besonders sympathisch, dass Linus Roth bei keinem dieser Stücke in die Versuchung gerät, den technischen Virtuosen auszustellen. Immer steht die Gestaltung im Vordergrund, der Ausdruck. Mir ist das gestern besonders aufgefallen, als selbst ein eingestreutes Pizzikato gestaltete Dynamik hören ließ und in halsbrecherischen Passagen Wechsel zwischen hartem und weichem Strich besondere Schattierungen an den Stücken hörbar werden ließen. Natürlich sind das Brillierstücke, aber so wurden sie eben nicht präsentiert. Bei dieser Art des Musizierens hat immer die Musik Vorrang vor dem Virtuosen.
Ich hoffe sehr, dass ich Linus Roth sehr bald einmal mit großem Orchester und einem Violinkonzert hören kann. Darauf wäre ich sehr gespannt.
Wer der Palliativstation des Harlachinger Krankenhauses ebenso helfen möchte wie gestern José Gallardo und Linus Roth, kann dies mit einer Spende tun. Auf der Website des Fördervereins finden sich alle notwendigen Informationen.
Am 7. Mai 2013 um 23:56 Uhr
Schön diese Rezension zu lesen.
Als Veranstalter waren wir sehr froh, diese super Musiker für uns gewinnen zu können (Danke Andrea).
Als ziemlicher musikalischer Banause fand ich gerade die Kombi aus slawischen Elemenen (Smetena) und fast schon „jazzigen“ Passagen hervorragend. Die Zugabe hat mich fast an „Programmmusik“ erinnert, man konnte die tanzenden Kobolde fast sehen – durch Musik.
Unsere Station würde sich freuen wieder solche Konzerte, solche Musiker für ein Benefizkonzert gewinnen zu können. Wir danken allen Spendern und hoffen auch auf neue Fördermitglieder für unseren Verein/die Station!