Das Freud-Zimmer im Hotel Orphée in Regensburg
••• Von unterwegs sendet man schnell mal ein Foto, einen Tweet oder eine Facebook-Nachricht. Einen Beitrag für den Turmsegler zu schreiben, erfordert dann aber doch mehr Sorgfalt und also Zeit; und an der fehlt es mir gerade sehr. Dennoch will ich nicht versäumen, ein wenig wenigstens zu berichten von den Lesungen und Veranstaltungen des letzten Monats, die hier noch nicht erwähnt wurden.
Von Leipzig aus ging es nach Hamm, wo eine »Leinwand«-Lesung mit »Replay«-Zugabe auf dem Programm der örtlichen VHS stand. Der im Bild noch leere Saal füllte sich. Es waren sicher 40 Leute da, interessiert und im Anschluss fragefreudig. Auch ein Pressevertreter war anwesend.
Bucerius Saal der VHS Hamm vor der Lesung
Tags darauf war ich in Regensburg, erneut zu Gast in der Buchhandlung Dombrowsky, und wieder war es ein gelungener Abend mit einem sympathischen Publikum. Der Presse hat es auch gefallen, wie man später in der »Mittelbayrischen« nachlesen konnte. Die Dombrowskys haben mir eine besondere Freude gemacht, indem sie mich in einem der schönsten Hotels untergebracht haben, das mir bislang untergekommen ist. Das »Orphée« in Regensburg ist im Jugendstil eingerichtet, urgemütlich, kann mit sehr guter Küche und Musik aufwarten. Anti-antik hingegen: das WLAN ist frei. Dabei kosten die Zimmer kein Vermögen. Für die aufgerufenen Preise für ein normales Zimmer findet man in München kaum eine Pension. Das also ist eine dringende Empfehlung, wenn man mal durchreisend oder für ein Wochenende nach Regensburg kommt.
Nach kurzem Zwischenstop in München fuhr ich wieder in den Norden, an Hamm vorbei nach Münster. Dort veranstaltete die Akademie Franz-Hitze-Haus eine Tagung zur deutsch-jüdischen Literatur der letzten 25 Jahre. Jakob Hessing, Professor für Deutsche Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Hans Otto Horch, Professor für deutsch-jüdische Literaturgeschichte an der RWTH Aachen, waren bereits zum dritten Mal in der Akademie zu Gast. Nach der deutsch-jüdischen Literatur vor der Nazizeit und der Holocaust-Literatur nun also: Gegenwart. Die beiden Professoren trugen abwechselnd derart sympathisch und begeistert vor, dass die Teilnehmer der Tagung über 2 1/2 Tage konzentriert bei der Sache blieben. Besonders gefallen hat mir, dass die Referenten einen umfangreichen Reader ausgegeben hatten und in allen Blöcken auch immer direkt an den Text gingen, um zu zeigen, wie die einzelnen Autoren arbeiten. Das allein war ungemein spannend.
Nach einer Einführungsveranstaltung ging es zunächst um Rafael Seligmann. Es gab eine Wiederbegegnung mit der grandiosen Erzählung »Harlem Holocaust« von Maxim Biller und eine umfassende Einführung in das Werk von Barbara Honigmann. Der Nachmittag und der Abend des zweiten Tages war dem Wilkomirski-Komplex gewidmet, wenn man es mal so nennen mag. Vorgestellt wurden die Protagonisten des Wilkomirski-Falles, deren Werke und die Bücher, die sich post factum mit dem Fall befassten. Sehr dankbar war ich für die empathische Vorstellung von Daniel Ganzfrieds Roman »Der Absender« durch Prof. Horch. Auch die sparsamen Ausführungen zu Ganzfrieds Schaffen vor und nach der Causa Wilkomirski waren erhellend und viele Fakten für mich neu. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, vor mir noch eine weitere Biografie zu haben, die durch den Fall schwer beschädigt wurde. Als Autor und sogar als Journalist konnte Ganzfried bis heute nicht wieder Fuß fassen, und für einen Roman-Autor muss es schmerzlich sein, dass man sich an seinen Namen kaum des Romanes wegen erinnern wird, der allein seiner interessanten Konstruktion wegen lesenswert ist. Umso angenehmer fand ich, dass der Autor Ganzfried an diesem Tag zuerst zur Sprache kam und erst im Anschluss auf den Wilkomirski-Fall eingegangen wurde. Prof. Horch stellte das inkriminierte Buch »Bruchstücke« vor und berichtete vom Aufstieg und Fall dieses Buches und seines Autors. Dabei kamen die Bücher über den Fall (von Stefan Mächler und Daniel Ganzfried) ebenfalls zur Sprache.
Vor der »Leinwand«-Lesung in der Akademie Franz-Hitze-Haus, Münster
Eine bessere Einführung hätte es nicht geben können für »Die Leinwand«. Mein Roman wurde von Jakob Hessing vorgestellt, und da die thematischen Hintergründe bereits hinreichend gewürdigt waren, konnte er sich auf Gestaltungsfragen konzentrieren. An vielen Textstellen zeigte Hessing sehr einfühlsam, wie im Text mit Motiven und Querbezügen gearbeitet wird und dass viele Details (vom black polish über die Violinenlacke bis zu den Örtlichkeiten) Doppelfunktionen erfüllen: Sie führen einerseits die Figuren und damit die Story, sind aber immer auch Metapher und transportieren mehr, als auf den ersten flüchtigen Blick ersichtlich ist. Diese Textexegese fand ich sehr beglückend. Für einen Autor ist es wunderbar, wenn man sich in seinen Intentionen derart verstanden fühlen darf.
Entsprechend gut gestimmt ging es im Anschluss in die »Leinwand«-Lesung. Insgesamt waren um die 100 Zuhörer dort, darunter Marie Rövekamp, die später in der lokalen Presse berichtete.
Anders als in der Woche zuvor in der VHS Hamm, gab es in Münster auf dem Büchertisch auch »Replay« neben der »Leinwand«-Hardcover und -Paperbackausgabe. Das traf sich gut, denn die »Replay«-Zugabe kam gut an, und die Bücher gingen flugs weg.
Den Vortrag über Irene Dische und die »Schlussplädoyers« der Herren Professoren bekam ich leider nicht mehr mit, da ich am Sonntag in aller Frühe aufbrechen musste.
Es war also was los in den letzten zwei Wochen und allerhand geboten mit dem schönen Fernsehtag gestern als Abschluss. Im April wird es nun ruhiger zugehen mit nur einer Lesung in Hamburg, bevor es dann Anfang Mai nochmals auf eine kleine Tour geht: mit »Replay« nach Berlin und danach mit der mazedonischen »Leinwand« nach Skopje.