Das Publikum applaudierte. Ich applaudierte auch. Peinliche Geschichten haben immer etwas Reizvolles. Katelyn allerdings legte unterm Tisch ihre Hand auf mein Knie. Sie sah mich an, und für einen Moment glaubte ich, sie würde, was ich noch nie erlebt hatte, tatsächlich weinen.
Was ist? fragte ich besorgt.
Nichts, sagte sie ruhig, hatte sich augenblicklich wieder gefasst und meinte: Ich habe mich nur eben gefragt, ob wir wirklich das Richtige tun.
Das tun wir, sagte ich, das tun wir sicher.
Der Abend klang aus mit einer Solo-Zugabe. Noch einmal spielte Morrison zwei Instrumente gleichzeitig. Auf der Trompete erklang das erste Jazz-Stück, das er als Junge auf dem Kornett spielen gelernt hatte. Dabei begleitete er sich selbst mit der linken Hand auf dem Klavier. Als würde ihn die Erinnerung an diese Zeit der stürmischen Entdeckungen noch einmal beflügeln, wuchs er über sich hinaus, und nachdem der Abend bis dahin durchwachsen gewesen war, gelang es dem Musiker mit diesem Stück doch noch, uns wirklich zu berühren.
Es war spät geworden. Wir gingen heim. Katelyn blieb bei mir, was nicht allzu oft vorkam. Aneinander geschmiegt schliefen wir ein und hatten beide eine ruhige Nacht, die letzte meines alten Lebens.
Wir erwachten gemeinsam, und auch als ich am nächsten Abend in der Klinik aus der Narkose heraufdämmerte, war es Katelyn, die neben mir saß. Sie hatte den Laptop auf den Knieen, las und merkte nicht, dass ich die Augen geöffnet hatte.
Was liest du? fragte ich, und als hätte sie nicht Stunden gebangt und gewartet und müsste sich nun erlöst fühlen, hob sie nicht einmal den Kopf.
Ich lese, sagte sie, den Artikel über Morrison. Er hat ihn tatsächlich editiert, aber seine Änderung wurde als Vandalismus eingestuft und abgewiesen, weil er keine Quellen angegeben hatte. Stattdessen steht da nun wieder, er habe die falsche Hymne über eine Tauschbörse im Internet gefunden und sich nicht darum gekümmert zu prüfen, was genau er sich da an Land gezogen hatte.
Und auf welche Quelle, fragte ich, beruft sich der Autor dieser Version?
Auf ein ABC-Interview, das online erschienen ist, sagte Katelyn: Witzig ist nur, dass in diesem Interview rein gar nichts von Tauschbörse steht, sondern vielmehr genau das, was Morrison gestern erzählt hat. Man habe ihm die Musik geschickt.
Auf das Zeugnis von Betroffenen ist halt kein Verlass, sagte ich. Katelyn lächelte, schloss den Laptop und stellte ihn beiseite.
Wie geht’s? fragte sie.
Gut, antwortete ich. Ich kann Dich sehen. Mit beiden Augen.
aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)