Matana war einmal während einer unserer Schachpartien auf den Watt‘schen Dampfregler gekommen. Ihn als Biologen und Kognitionsforscher interessierte die Kopplung zwischen Maschinenwelt und menschenlichem Verhalten. Er hatte darüber sinniert, warum diverse Formen interaktiver Webdienste wie etwa Diskussionsforen und Weblogs mit Kommentarmöglichkeiten über viele Jahre enstanden und gestorben waren, bestimmte kommerzielle soziale Netzwerkdienste aber wie etwa Zuckerbergs Facebook geradezu explosionsartig wuchsen. Er hatte sich angesehen, worin sich die Möglichkeiten des Feedbacks unterschieden, das die Nutzer dieser Dienste sich gegenseitig oder auch dem Betreiber geben konnten.
Das musst du dir mal ansehen, hatte er begeistert doziert: Es gibt in diesen wuchernden Systemen so gut wie keine Funktion negativer Rückkoppelung. Man kann Interssantes weiterverbreiten und Beiträge anderer mit einem Klick auf den »Like«-Button adeln. Einen »Dislike«-Button hingegen gibt es nicht. Kein Benutzer wird darüber informiert, wenn er von anderen geblockt wurde. Das System bietet nur Funktionen an, die zur noch intensiveren Nutzung des Systems motivieren. Sie animieren dazu, mehr und mehr Menschen zu involvieren.
Und? fragte ich: Das ist doch geschickt. Matana schüttelte den Kopf.
Das scheint so, meinte er. Ausgemachte Sache sei das aber nicht. Fallen im menschlichen Körper die Systeme des negativen Feedbacks aus, wird schnell mal ein Krebsgeschwür daraus. Es ist wie eine Umpolung des Watt‘schen Dampfreglers. Je schneller die Maschine dreht, desto mehr Dampf gibt das Ventil frei. Systemtheoretisch betrachtet kann ein solches dynamisches System, das sich allein auf positive Rückkopplung stützt, nur in die Katastrophe steuern. Aus winzigen Turbulenzen werden wahre Stürme, eine immer schneller drehende Spirale ungebremster Wucherung.
Du übertreibst, sagte ich.
Natürlich übertreibe ich, erwiderte er. Aber das sei schließlich ein Grundinstrument gedanklichen Experimentierens.
aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)