Schematische Darstellung eines Fliehkraftreglers
Ich hatte angenommen, Matana würde mit meiner Transformation ebenso zufrieden sein wie meine Trainerin und wie ich selbst. Je mehr Fortschritte ich machte, desto reservierter schien er jedoch zu werden, als wäre ihm die ganze Sache oder doch zumindest ein Teil davon nicht geheuer. Bei aller Begeisterung für das Trainingsprogramm hatte ich die technische Seite unserer Vorbereitungen nicht etwa vernachlässigt. Ich arbeitete konzentrierter denn je und hätte mir schon allein deswegen keine Nachlässigkeit gestattet, weil ich selbst der Leidtragende gewesen wäre. Allerdings hatte ich mehrere Schachabende in Folge abgesagt, weil ich es genoss, die wenige Freizeit, die mir blieb, mit Katelyn zu verbringen. Dafür aber, nahm ich an, durfte ich doch Verständnis erwarten.
Für gewöhnlich hielt Matana mit seinen Ansichten, Ratschlägen oder auch Kritik nicht hinterm Berg. Dieses Mal hielt er sich zurück und nahm einen eigenwilligen Umweg, um mir mitzuteilen, dass er sich Sorgen machte.
Er schickte mir eine verschlüsselte Botschaft, die ich bis heute nicht vergessen habe. Sie beeindruckte mich schon damals in ihrer Hellsichtigkeit. Über die Jahre aber stellte sich sein Rätsel als geradezu prophetischer Ausblick auf die Entwicklungen heraus, die uns – und besonders mir – noch bevorstanden. Wäre mir dies klar gewesen, hätte es mich beängstigt. So aber überraschte und faszinierte mich seine verschlüsselte Zurechtweisung lediglich. Ich bezog sie allein auf mich, die Beziehung mit Katelyn und unsere Vorbereitungen. Dass Matana sehr wahrscheinlich deutlich mehr im Auge gehabt hatte, ahnte ich nicht.
Eines Morgens fand ich auf meinem Schreibtisch im Büro einen grasgrünen Umschlag, auf dem in Matanas ausladender Handschrift mein Name stand und darunter: Mit besten Wünschen und lieben Grüßen… In dem Umschlag, den ich sofort neugierig aufriss, fand ich einen Gutschein für eine Thai-Massage in einem Salon in der Stadt, den ich nicht kannte. Und ich fand eine zusammengefaltete Bleistiftzeichnung, die schematische Skizze eines Watt’schen Dampfreglers.
Kein Wort der Erklärung, nur der Gutschein und diese Zeichnung.
Matana hatte sich einige Mühe gemacht und alle Elemente des Regelkreises dargestellt, inklusive des Dampfventils und des breiten Transmissionsriemens, den er ausschraffiert hatte. Den eigentlichen Reglermechanismus hatte er etwas vergrößert dargestellt. Das vierschenklige Hebelscharnier mit der senkrechten Führungwelle in der Mitte erinnerte mich an die gelegentlich auf Wände und Türen öffentlicher Toiletten gekritzelten Vulva-Pictogramme, ein auf der Spitze stehender Rhombus mit einem Strich in der Mitte.
Setzt sich der Mechanismus in Bewegung, dreht sich das Scharnier um die Mittelachse. Die an den oberen Streben unterhalb der Kniee befestigten, meist kugelförmigen Fliehgewichte heben sich und drängen die Kniee nach außen. Das Scharnier spreizt sich und zieht dabei die obere Spitze des Rhombus nach unten. Verlangsamt sich die Bewegung, sinken die Kugeln nach unten und ziehen die Kniee zusammen. Man muss kein pubertierender Schüler oder Erotomane sein, um dabei in die Vorstellung eines sich rhythmisch lasziv öffnenden und wieder schließenden Schoßes abzugleiten.
aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)