Nicht einmal diese Aussichten konnten meinen Enthusiasmus bremsen. Ich war entschlossen und unterschrieb den Vertrag, und während ich es tat, beschäftigte mich der einzige Gedanke, der mir bei diesem Vorhaben wirklich Angst machte: Ich würde mit Katelyn reden müssen. Seit Monaten hatte ich wortreich versucht, sie von einer Laser-OP an ihren kurzsichtigen Augen abzubringen. Nun würde ich ihr erklären müssen, wie ausgerechnet ich mich auf das Abenteuer eines solchen ungleich gewagteren Eingriffs einlassen konnte.
Beim damaligen Stand unserer Beziehung hätte ich mich nicht erklären müssen. Genau das aber war der Punkt: Wenn ich ihr abgeraten hatte, dann nicht, weil ich ihre falschen grünen Augen so sehr liebte, dass ich auf sie nicht hätte verzichten können, sondern weil ich mich um Katelyn sorgte. Ich redete mir ein, dass sie womöglich gerade dieser Sorge wegen bisher auf die Operation verzichtet hatte, weil sie an meiner Stelle ähnlich empfunden hätte. Wie konnte ich nun etwas tun, das sie sich selbst meinetwegen versagte?
Vielleicht war ich zu lange begriffstutzig gewesen. Jetzt immerhin wurde mir klar, dass wir ein Paar waren und unser Zusammensein mehr als nur ein Abenteuer, eine prickelnde Episode, die niemanden zu Erklärungen verpflichtete. Ich wollte, dass sie dabei ist, dass sie mich – wie soll ich es sagen? – auf dem Weg ins Unbekannte begleitet. Dennoch hatte ich den Vertrag unterschrieben, ohne sie eingeweiht zu haben. Ich hatte den Entschluss ohne sie gefasst. Ganz gleich, ob die Vorstellung sie ängstigen würde oder nicht, ob sie einverstanden sein würde oder nicht, ich hatte bereits entschieden, als wäre ich allein, als gäbe es sie nicht oder ihre Ansichten, Ängste und Meinungen würden nicht zählen. Das würde ihr nicht gefallen. Man musste kein Prophet sein, das vorauszusehen.
Erschreckend war nicht die Erkenntnis, dass ich Katelyn liebte. Erschreckend war das überwältigende Gefühl, geliebt zu werden und die Angst, die sich unmittelbar einstellte, daran könnte sich etwas ändern, und ich würde Katelyn verlieren, weil sie sich übergangen fühlte, nicht ernst genommen, nicht wichtig genug, eine solche Entscheidung gemeinsam mit mir abzuwägen. Tatsächlich verblassten die Risiken des geplanten Experiments vor dieser Angst.
Man hätte meinen sollen, dass ich alt genug war, damit umgehen zu können, aber ich stand hilflos vor dieser Angst wie ein Teenager in den Wirren der ersten ernsthaften Liebschaft. Anstatt das Problem aus der Welt zu schaffen, indem ich Katelyn einweihte und mich erklärte, vertagte ich den Augenblick der Wahrheit von Date zu Date. Es sei ein Geheimprojekt, von dem sie nichts wissen durfte, redete ich mich vor mir selbst heraus. Mir bliebe gar nichts anderes übrig, als weiter den Mund zu halten, solange wir uns noch in der Vorbereitung befanden.
Immerhin vertraute ich mich Matana an. Ich dachte, er müsste aus allen Wolken fallen, wenn ich ihm das Techtelmechtel – ausgerechnet mit einer Auditorin von Anderson, Pinchet & Laurie – beichtete, aber meine Eröffnung überraschte ihn nicht. Mit dem Daumen zeigte er über die Schulter auf die weit geöffneten Augen des riesigen Firmensignets, das hinter ihm auf der Wand prangte.
Glaubst du etwa, sagte er, die Firma sei blind?
Nein, das glaubte ich nicht. Wie hatte ich nur annehmen können, Matana hätte ein Risiko übersehen? Also war alles aus? Ich würde mich unter Angabe irgendeines fadenscheinigen Grundes von Katelyn trennen müssen?
Ich solle mich auf das Trainingsprogramm konzentrieren, das die Ärzte verordnet hatten, sagte Matana mit einem Lächeln, das ich an Barbarei grenzend herzlos fand. Dann, meinte er, würden wir weitersehen.
Mir wurde übel. Ich musste mich setzen. Bis eben, dachte ich, war ich noch ein verängstigter Liebender gewesen. Das war vorbei. Ab jetzt, darüber konnte ich mich nicht täuschen, würde ich ein Verräter sein.
aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)