Matana war nie ein typischer Silicon-Valley-Entrepreneur. Er ist spät nach Kalifornien gekommen. Die meiste Zeit seines Lebens hat er in Chile verbracht. Dort ist er aufgewachsen, dort hat er studiert, promoviert und mehrere Jahrzehnte als Professor gelehrt. Dass er schließlich 1990 in die Staaten kam und seine Forschungen in einem Privatinstitut unter Ausschluss selbst der akademischen Öffentlichkeit fortführte, provozierte allerlei Irritationen – und Neid. Über Matanas Geschicklichkeit bei der Finanzierung seiner Forschungen kursierten schon bald diverse Gerüchte. Das Unternehmen, das er selbst gern als unabhängigen think tank bezeichnet, gehört ihm nicht allein. Die ebenso geduldigen wie finanzstarken Anteilseigner halten sich jedoch so diskret im Hintergrund, dass kaum jemand weiß, woher die Gelder stammen, mit denen Matana sein Institut betreibt.
Er ist Biologe, was er auch immer gern betont.
Was ich Dir nun sage, sage ich Dir als Biologe… So setzt er meist an, wenn er philosophisch wird und den Bogen schlägt von der Funktionsweise unserer Sinnesorgane zu grundsätzlichen Fragen der Kognitionstheorie. Ich erinnere mich nicht, aber sicher hat er auch damals diesen Satz bemüht.
Ob mir klar sei, hatte er gefragt, was den besonderen Wert meiner Arbeit ausmache.
Ich wusste es nicht. Jedenfalls wäre ich selbst nicht auf die Idee gekommen.
Sie haben, dozierte er, dem Computer die Welt gezeigt.
Das war mir zu hoch gegriffen. Schließlich war es mir lediglich gelungen, den Computer ein Schachbrett voller Figuren sehen zu lassen, indem ich es in eine Form überführte, die er wahrnehmen und verarbeiten kann – eine Zahl. Und Matana tat so, als hätte ich einem Blinden zum Sehen verholfen. Das fand ich absurd.
Keineswegs, erwiderte er damals: Die Welt ist, was wir wahrnehmen. Etwas anderes gibt es nicht für uns. Und möglicherweise gibt es darüber hinaus gar nichts.
Das Schachprogramm, sagte ich und rückte mit dem Bauer auf d4 nach, statt d5 zu verteidigen. Ein schwacher Zug, aber es war zu spät. Ich hatte Matana einen Tempovorteil geschenkt, und mein Mehrbauer würde nicht zu halten sein.
Ganz genau, erwiderte Matana, während er ungerührt meinen Zug und seine Antwort notierte: Sf6xd5. Um meinen Bauern war es geschehen, und Matana beherrschte das Zentrum.
Aber das war damals, setzte er hinzu, nicht mein einziges Interesse.
Ach? sagte ich abwesend. Ich musste d4 verteidigen und ins Spiel finden: Sg1-f3.
Ja, sagte Matana und bereitete mit g7-g6 ein Fianchetto vor, um meinen verbliebenen Zentrumsbauern auf d4 unter Druck zu setzen. Das kümmerte mich nicht, denn d4 war doppelt verteidigt. Ich fühlte mich sicher.
Was war es denn noch? fragte ich und entschied mich für Lf1-e2, um auch noch meine Verteidiger zu verteidigen. Wie ich erwartet hatte, ging Matana mit Lf8-g7 in Angriffsstellung.
Dein Auge, sagte er.
aus: »Replay«,
© Benjamin Stein (2011)