Karin Christiansen: »Kopf in Kiste« (Skulptur, Holz, 50×40 cm)
Man sagt, sie gehe jede Nacht hinaus und lege
Decken auf die Gräber, um sie warm zu halten.
Das Ausmaß ihrer Trauer sei erschreckend.© Robin Robertson
aus »Am Robbenkap« in:
»The Wrecking Light«, Picador 2010
Deutsch von Jan Wagner
••• In den von mir so geschätzten »akzente«-Heften geht es auch oft um Übersetzungsfragen, speziell denen der Übertragung von Gedichten. Dem Hanser- und »akzente«-Herausgeber Michael Krüger ist es zu danken, dass der poetische Horizont des interessierten deutschen Lesers immer wieder einmal gehörig erweitert wird und man Bekanntschaft schließen kann auch mit fremdsprachigen Dichtern, die hierzulande ganz unverdientermaßen (noch) unbekannt sind.
In der Ausgabe 4/2010 der »akzente«, die ich auf Lanzarote bei 50 °C am Pool las, stieß ich auf einen solchen (englischsprachigen) Dichter, dessen Verse mich umgehend elektrisierten – wohl wegen ihres starken mytisch-magischen Touchs, aber auch wegen ihres poetischen Ungestüms. Das sind Verse zum Anfühlen, Erriechen und Erschmecken: klamm, moosig, von Seeluft und Waldduft durchzogen, salzig und mitunter mit dem metallischen Beigeschmack von Blut.
Dabei bedient sich der Autor einer unprätentiösen Sprache, lässt die Verse mit nur gelegentlich strengerer Rhythmisierung nahezu prosaartig fließen. Und ihm gelingt, was man meiner Meinung nach hier in Deutschland selten findet: Die eigentliche poetische Kraft dieser Gedichte erwächst nicht aus Sprache und Klang, sondern aus dem heraufbeschworenen Bild, nicht aus dem »wie« sondern aus dem »was« – eine Verbindung zur fernöstlichen Haiku-, Tanka- und Sijo-Dichtung, wenngleich ohne deren thematische und formale Einschränkungen.
Die Rede ist von Robin Robertson. Geboren 1955 im schottischen Scone (Perthshire) verbrachte er seine Kindheit an der schottischen Küste und übersiedelte schließlich nach London, wo er als Lektor u. a. für Penguin Books (sic!) und Secker & Warburg arbeitete. Heute zeichnet er bei Jonathan Cape (nach bewegter Geschichte heute ein Random-House-Imprint) verantwortlich für das Ressort Lyrik und Belletristik.
Als Dichter ist er 1997 mit über 40 Jahren eher spät auf die literarische Bühne getreten. Seit seinem Debüt »A Painted Field« sind unterdessen in relativ kurzen Abständen sechs weitere Lyrikbände erschienen, zuletzt bei Picador der Band »The Wrecking Light«.
Dem deutschen Lyriker Jan Wagner verdanken wir nun die wohl ersten deutschen Übertragungen von Robertson-Gedichten. Und so viel steht fest: Wagner gelingt es, die verstörende, alle Sinne beanspruchende Intensität dieser Verse auch in der deutschen Fassung zu bewahren.
Übersetzungen sind ein Dialog zwischen Autor und Wieder-Autor, der ein guter Übersetzer nun einmal sein muss. Gelegentlich entspinnt sich aus einer solchen Auseinandersetzung auch ein poetischer Dialog: Gedichte, die den Versen des anderen nachlauschen, ihnen vielleicht antworten, sich ihnen »anverwanden« oder auch gegenüberstellen, wenn nicht gar entgegenstemmen. Einen solchen »geteilten Dialog« (wie Undine Materni sagen würde) hat Jan Wagner mit Robertson aufgenommen. Nachzulesen in »akzente« 4/2010.
Beide, Autor wie Nachdichter, haben mir freundlicherweise gestattet, ein besonders aufwühlendes Gedicht im »Turmsegler« zu präsentieren. Hierzulande bekommt man originale Robertsons nicht so leicht. Zu meinem großen Bedauern hat der neue Band, dem dieses Gedicht entnommen ist, noch nicht den Weg zu mir gefunden. Ich wollte aber nicht länger warten, diese Entdeckung mit euch zu teilen. Den Originaltext werde ich also nachliefern müssen. Ich bleibe dran.
Am Robbenkap
für John Burnside
Man erkannte ihr Haus an den zugezogenen Vorhängen,
den auf der Begrenzungsmauer platzierten Kormoranen,
den schwarzen Kreuzen ihrer Flügel, aufgehängt zum Trocknen.
Man fand es dank der Eberesche und der Kiefer, die es
vorm Meer und dem kurzen Licht der Sonne verbargen,
und dank Aonghas, dem Collie, der vor der Tür lag,
wo er starb: Ein Gestell aus Knochen wie eine zugeschnappte Falle.
Eine Gabel von Nonnengänsen flog vorbei mit diesem langsamen
Quietschen rostiger Sägen. Des bitteren Meeres vorwurfsvolles Zerren
und Wogen; ein Gurren von Tauben, die aus dem Wald aufstiegen.
Sie hatte vier Söhne, das wußte ich sehr wohl,
jeder mit Makel. Allesamt blind geboren, heißt es,
mit offenem Mund und einfach, mit Schwimmfüßen,
klapprig wie Stöcke. Schöne Gesichter, versichert man mir,
aber ausdruckslos wie die Luft.
Einmal sah sie jemand draußen, wie sie zum Strand
humpelten, dabei wie die Ratten zwitscherten,
und sagte, sie wären hervorragende Schwimmer,
aber das hätte ich mir denken können.
Ihr Mann verließ sie: Sagte,
sie könnten nicht von ihm sein, sie wären
mehr Fisch als Mensch,
sagte, sie wären verzaubert
und suchte ihre Haut nach den untrüglichen Malen ab.
Jahrelang hegte sie jede dieser schwierigen Flammen:
Ihre straffen, flackernden Körper.
Jede Nacht schloß sie die Schuppen
ihrer Augen, um das Feuer zu ersticken.
Bis er wiederkam,
ein letztes Mal,
schwerfällig vom Schnaps, sagte,
er habe genug davon gehabt,
all die Hexerei,
und ließ sie in einer Reihe
vor ihren Betten stehen
und zucken. Ihre Hände
flatterten; Heringsaugen
rollten in ihren Köpfen.
Er ging die Reihe ab,
ließ einen nach dem anderen
mit einem kleinen Messer
erschlaffen.
Man sagt, sie gehe jede Nacht hinaus und lege
Decken auf die Gräber, um sie warm zu halten.
Das Ausmaß ihrer Trauer sei erschreckend.
Ein Otter raschelte in den Blättern, ein Reiher
schritt langsam übers Wasser hin, als ich bei Anbruch
des Tages zu ihrer Tür zurückkehrte.
Sie hatte vier Steine in eine Halskette gefaßt, trug
vier Ringe an der Hand, die mich am Zimmer vorbeiführte,
in dem vier kleine Kerzen brannten,
und das sie das »Regenzimmer« nannte.
Milchiger Rauch stieg vom Kaminrost auf
wie ein Wasserfall rückwärts
und sie nannte meinen Namen
und es war das Einzige
und das Letzte, was sie sagte.
Sie gab mir das auf Frost gebettete Ei einer Feldlerche;
gab mir Locken vom Haar meiner vier Söhne; gab mir
den Kopf ihres Manns in einer hölzernen Kiste.
Dann gab sie mir das Seehundfell und ich streifte es über.
© Robin Robertson, aus:
»The Wrecking Light«, Picador 2010
Deutsch von Jan Wagner
Update am 08.10.2010: Endlich ist der Robertson-Band eingetroffen, und ich kann den Originaltext ergänzen. Hier ist er…
At Roane Head
for John Burnside
You’d know her house by the drawn blinds —
by the cormorants pitched on the boundary wall,
the black crosses of their wings hung out to dry.
You’d tell it by the quicken and the pine that hid it
from the sea and from the brief light of the sun,
and by Aonghas the collie, lying at the door
where he died: a rack of bones like a sprung trap.A fork of barnacle geese came over, with that slow
squeak of rusty saws. The bitter sea’s complaining pull
and roll; a whicker of pigeons, lifting in the wood.She’d had four sons, I knew that well enough,
and each one wrong. All born blind, they say,
slack-jawed and simple, web-footed,
rickety as sticks. Beautiful faces, I’m told,
though blank as air.
Someone saw them once, outside, hirpling
down to the shore, chittering like rats,
and said they were fine swimmers,
but I would have guessed at that.Her husband left her: said
they couldn’t be his, they were more
fish than human,
said they were beglamoured,
and searched their skin for the showing marks.For years she tended each difficult flame:
their tight, flickering bodies.
Each night she closed
the scales of their eyes to smoor the fire.Until he came again,
that last time,
thick with drink, saying
he’d had enough of this,
all this witchery,
and made them stand
in a row by their beds,
twitching. Their hands
flapped; herring-eyes
rolled in their heads.
He went along the line
relaxing them
one after another
with a small knife.It’s said she goes out every night to lay
blankets on the graves to keep them warm.
It would put the heart across you, all that grief.There was an otter worrying in the leaves, a heron
loping slow over the water when I came
at scraich of day, back to her door.She’d hung four stones in a necklace, wore
four rings on the hand that led me past the room
with four small candles burning
which she called »the room of rain«.
Milky smoke poured up from the grate
like a waterfall in reverse
and she said my name
and it was the only thing
and the last thing that she said.She gave me a skylark’s egg in a bed of frost;
gave me twists of my four sons‘ hair; gave me
her husband’s head in a wooden box.
Then she gave me the sealskin, and I put it on.© Robin Robertson, aus:
»The Wrecking Light«, Picador 2010
Am 8. Oktober 2010 um 16:41 Uhr
[…] Post. Den Originaltext von »At Roane Head« (deutsch von Jan Wagner: »Am Robbenkap«), habe ich »» hier nachgetragen.Im Rückspiegel: Virtuelle Autopsie (09. 10. 2009)Tags: Jan […]