Natürlich war bei uns jedermann religiös: aus Taktgefühl. Sieben oder acht Jahre nach dem Kulturkampf unter dem Ministerium Combes sah man in dem zur Schau getragenen Unglauben den Ausdruck einer heftigen, ungezügelten Leidenschaft. Ein Atheist war ein Sonderling, ein Wildgewordener, den man nicht zum Abendessen einlud, weil man fürchten mußte, er werde aus der Rolle fallen, ein Fanatiker mit ungezählten Tabuvorstellungen, der sich das Recht versagte, in der Kirche niederzuknien, seine Tochter kirchlich zu verheiraten und dabei Tränen der Rührung zu vergießen, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, die Wahrheit seiner Doktrin durch die Reinheit seiner Sitten zu untermauern, der in einer Weise gegen sich und das eigene Glück wütete, daß er sich der Möglichkeit beraubte, getröstet zu sterben, ein Gottesnarr also, der allenthalben Seine Abwesenheit feststellte und unablässig Seinen Namen aussprach, kurzum: ein Herr mit religiösen Überzeugungen. […]
Die gute Gesellschaft glaubte an Gott, sprach aber nicht darüber. Wie tolerant erschien die Religion! Wie war sie doch bequem. Ein Christ konnte der Messe fernbleiben und seine Kinder kirchlich trauen lassen, er konnte sich über religiöse Propaganda lustig machen und beim Hochzeitsmarsch aus „Lohengrin“ Tränen vergießen; er brauchte weder ein vorbildliches Leben zu führen noch in Verzweiflung zu sterben, er konnte sogar auf die Sterbesakramente verzichten. In unserem Milieu, in meiner Familie war der Glaube nur ein Prunkname für die süße französische Freiheit; man hatte mich gleich allen anderen getauft, um meine Unabhängigkeit zu bewahren: beim Verzicht auf die Taufe hätte man befürchtet, meine Seele zu vergewaltigen. Als ein eingeschriebener Katholik dagegen war ich frei, war ich normal. Man sagte: „Später soll er tun, was er will.“ Damals hielt man es für schwieriger, den Glauben zu erwerben, als ihn zu verlieren.
Jean-Paul Sartre, aus: „Die Wörter“
© Rowohlt Verlag 1965
© Editions Gallimard 1964
••• Das soll es vorerst gewesen sein mit Sartre. Aber dieses Zuckerstückchen wollte ich doch unbedingt noch auf die Leserzungen schlenzen. Als ich dies las, musste ich kichern und hätte doch gleichzeitig auch heulen können.
Kichern musste ich, weil mein Busenfreund so etwas wie ein religiöser Darwinist ist. (Jaycee, das ist augenzwinkernd gesprochen; und Du nimmst es mir hoffentlich nicht krumm…) Manchmal, wenn uns die Vernunft verlässt – weil ich ihm beim Hendl-Essen etwa die milchige Tasse entreisse, was sein Unverständnis und Unwillen erregt – und wir ins Diskutieren verfallen, obwohl uns klar ist, dass das bei diesem Thema ganz vergeblich ist, in solchen Momenten also denke ich mir immer, dass man es als Atheist gar nicht leicht hat. Keine Meinung zu diesem Thema zu haben oder eine je nach Bedarf, ist da viel bequemer.
Das Heulen hingegen kommt mich an beim letzten Satz. In Religionen, die man von der Mutter ererbt oder aber nur in einem jahrelangen, entwürdigenden Prozess „annehmen“ kann, ist – wenn auch nicht der Glaube, so doch religiöse Normalität – nur unter ungeheurem Kraftaufwand und allerlei begleitenden persönlichen Katastrophen zu haben. Darüber könnte ich Bücher schreiben, wenn nicht genau dieses Berichten die Bemühungen um Normalität wieder zunichte machen würde.
Am 11. Oktober 2007 um 07:05 Uhr
Kann man im Zusammenhang mit Glauben (persönlichem Glauben, nicht institutionalisierter Religion) überhaupt von Normalität sprechen? Kann die spirituelle Suche, der Glaubensweg je in diese Kategorie fallen?
Ich habe diesen Weg (besser bringt es das englische Quest zum Ausdruck, was ich meine) immer als etwas erlebt, was mich über die Grenze hinausgetragen hat, also immer wieder in Bereiche geführt, die eben nicht normal sind.
Gibt es nicht einen Unterschied zwischen dem Mystiker, der sich immer wieder der Gefahr aussetzt, seinen Glauben zu verlieren, und dem Gläubigen, der „nur“ praktiziert?
(Bitte korrigier mich, wenn ich Dich falsch verstanden habe.)
Am 11. Oktober 2007 um 08:04 Uhr
Wer mit Engeln verkehrt, ist ihnen in der Regel auf einem Ausweg begegnet… Aber ich kann Dir da nicht vollständig zustimmen. Die ganze chassidische Bewegung ist ein Versuch, die Mystik und die spirituelle Suche in die normative Religionspraxis zu integrieren. Grad dies macht die hohe Anziehungskraft von Chabad heutzutage aus. Freilich ist im grossen Publikum, wenn es um Mystik geht, der Anteil Zauberei oft grösser. Und so lässt die heutige Kabbalah-Bewegung den normativen Aspekt der Gesetzesreligion beinahe gänzlich beiseite und hebt ganz auf den „spirituellen“ Aspekt ab.
Ja, ich denke auch, dass der Mystiker immer Gefahr läuft, wenn auch nicht seinen Glauben, so doch religiöse Normalität zu verlieren. Mitunter fällt er dann auch ganz ab vom Normativen der Religion. Da gibt es mindestens zwei berühmte Beispiele.
Der Talmud erwähnt Elisha ben Avuyah, einen der grössten Torah-Gelehrten seiner Zeit. Von ihm wird berichtet, dass er mit der religiösen Praxis brach. Dennoch unterrichtete er noch Schüler. Er ritt am Schabbat (was verboten ist) durch die Stadt. Ein Schüler ging neben ihm und lernte Torah (also Normatives) von ihm. Als sie die Schabbat-Grenze erreichten (ein bestimmter Bereich ausserhalb der Stadtgrenze, den man am Schabbat nicht verlassen darf), wies Elisha ben Avuyah seinen Schüler darauf hin, dass er stehen bleiben und zurückgehen müsse. Er selbst ritt weiter. Natürlich fiel er damit weit aus der Normalität heraus mit dem Ergebnis, dass sein Name im Talmud nicht mehr erwähnt wird und er immer nur als Acher (der andere) bezeichnet wird.
Ein anderes Beispiel ist der „falsche Messias“ Shabtai Zvi.
Du hast natürlich ganz recht, wenn Du sagst, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem „nur“ Praktizierenden und dem Mystiker. Er verlässt in der Regel den „normalen“ – also vorgedachten und vorgelebten Weg – und oft kann er dabei nicht wissen, wo er landet, wenn er – wie Elisha ben Avuyah – an der erreichten Grenze weiterreitet.
Am 11. Oktober 2007 um 08:10 Uhr
Und wenn wir von Engeln reden… Doch noch eine Ergänzung aus Sartres „Die Wörter“:
Am 11. Oktober 2007 um 08:15 Uhr
Damit wir uns recht verstehen: Mystik, die sich nicht vor dem Hintergrund des Normativen bewegt, läuft ins Leere – davon bin ich überzeugt.
Ohne die strengen, und oft auch einengenden Normen Roms, wären viele christliche Mystiker undenkbar. Sie brauchten Gesetze, Regeln, an denen sie sich reiben und ihr eigenes Glaubensleben schärfen konnten.
(Es gibt aber einen Unterschied zwischen dem Normativen und dem Normierten: das Normative sucht immer nach einer angemessenen Norm, das Normierte hat sich mit der bestehenden Norm abgefunden.)
Am 11. Oktober 2007 um 08:22 Uhr
Wow, das ist mal ein Statement! Wunderbar gesagt.
Das denke ich auch. Und das genau macht den Weg so schwierig. Man muss den eigenen Platz an den Rändern der Normalität bestimmen. Acher wusste durchaus, wo die Schabbatgrenze war. Er ritt weiter. Soll man das? Muss man das? Das lässt inneres Wachstum zu, weil man den Bereich des Reglements verlässt und wieder frei entscheiden muss. Vielleicht ist das der ganze Sinn der mystischen Übung.
Am 11. Oktober 2007 um 08:37 Uhr
Es kommt – zumindest aus christlicher Sicht – noch ein weiterer Aspekt hinzu: nämlich die Gotteserfahrung, oder die Begegnung mit dem Göttlichen, die sich jenseits der Grenze ganz anders (inniger vielleicht, sicher aber überwältigender) erleben lässt.
Ich sage nicht, dass innerhalb der Grenzen eine tiefe religiöse, spirituelle Erfahrung nicht möglich ist. Das Neue, Unbekannte aber liegt – notgedrungen – jenseits davon. (Norm setzt immer bekanntes voraus.)
Die Grenzüberschreitung ist auch in einem anderen Sinn wichtig: Sie hält die Normen in Bewegung, fordert sie heraus, bewegt ihre „Wächter“, die Glaubensgemeinschaft, dazu, im oben definierten Sinn normativ tätig zu werden. Für die Gemeinschaft ist das ein gesunder Prozess, für den Grenzüberschreiter ist das Risiko aber enorm: Er setzt damit alles aufs Spiel und weiss, dass er ebenso gut gewinnen wie verlieren kann.
Am 11. Oktober 2007 um 08:47 Uhr
:D nur weiter. ich lese freudig mit! :D
Am 11. Oktober 2007 um 09:00 Uhr
BTW: Den zweifellos berühmtesten Fall dieser Art habe ich nicht erwähnt: Jehoshua ben Josef (also known as Jesus) …
Die Suche nach Neuem kollidiert nur immer mit dem Wunsch nach oder der Behauptung des Ewigen durch die Religion. Was ewig ist, kann nicht gleichzeitig ewig neu bleiben. Und das führt zu der Frage, ob es denn immer das Neue sein muss, das tiefere Erfüllung bringt. Vielleicht ist unser Suchen nach der neuen Erfahrung ein Ausdruck eines Defizits, eines Nicht-zufrieden-sein-Könnens mit dem Bestehenden.
Da sind wir wieder bei Darwin und der Evolution. Ich sehe ja keinen Widerspruch zwischen Evolutionslehre und dem Glauben an einen Schöpfergott. Evolution allerdings hätte genau das Gesuchte: Ewigkeit und ständige Veränderung.
Am 11. Oktober 2007 um 09:15 Uhr
Das ist wohl wahr (insofern unsere Logik auf das Ewige zutrifft…). Aber wir Menschen sind nicht ewig, und unsere Erfahrung erst recht nicht. Folglich wird es für den Menschen immer „Neues“ zu entdecken geben. Und ich weiss nicht, ob Du das überwältigende und völlig aus den Schienen werfende Gefühl kennst (;-)), tief bis in die Magengrube hinein von einem Dir bislang unbekannten Aspekt durch unmittelbare Erfahrung berührt zu werden. Eine solche Erfahrung ist jeden Schmerz, jede Qual, jede Pein wert.
(Was man nicht vergessen darf: solche Erfahrungen werden in den allermeisten Fällen eingeleitet durch die überlieferte Praxis des Gebets, der Versenkung in eine Passage der Heiligen Schriften, oder selbst durch ein theologisches Streitgespräch. Und ist es nicht so, dass das für mich „Neue“ nicht unbedingt neu für andere sein muss. Ich mag sogar darüber gelesen, es studiert haben, aber wenn ich es dann an der eigenen Haut erfahre, dann brennt es.)
Am 11. Oktober 2007 um 09:34 Uhr
Aha. Dann aber – dann sollte es auch keinen Grund geben, das Normative zugunsten tiefer Erfahrung verlassen zu müssen. Oder übersehe ich hier etwas?
Am 11. Oktober 2007 um 10:24 Uhr
Oft gibt erst die Grenzüberschreitung dem Normativen einen Sinn, bzw. erfüllt sich das Normative in seiner Funktion.
Wenn wir die mystische Schau als Grenzüberschreitung bezeichnen wollen (nicht selten sprengt sie jegliche Norm und beansprucht totale Freiheit, in der sie sich erst zeigen kann), so ist sie doch dringend auf die Tradition, das Normative angewiesen, denn erst dieses gibt dem mystisch Schauenden die dringend notwendigen Instrumente in die Hand, das „Gesehene“ in einen Kontext einzuordnen. Ohne diesen Rahmen, bliebe das mystische Erlebnis ein in höchstem Masse verwirrendes und sinnloses Abenteuer. Vergleichbar mit einem Drogenkonsum (im Gegensatz dazu der drogenindizierte Trancezustand bei Schamanen, wo das spirituelle Wissen dem Rausch einen Sinn zu geben in der Lage ist).
Am 11. Oktober 2007 um 14:45 Uhr
Das verstehe ich jetzt nicht mehr oder kann es nicht nachvollziehen. Du meinst also, das Gesetz (Schabbat, Kaschrut etc.) erfährt Sinn und Funktion nur durch die Grenzüberschreitung? Das wäre ja ziemlich fatal oder fatalistisch…
Am 11. Oktober 2007 um 15:09 Uhr
Ich weiss nicht, ob ich in Bezug auf die jüdischen Gesetze so weit gehen darf, da mir der Hintergrund dazu fehlt.
Was ich meinte, ist aber schon, dass sowohl das Gesetz als auch der Gesetzesbrecher einander bedingen. Gäbe es keine Grenzüberschreitungen, bräuchte es keine Grenzen. Und man muss das nicht einmal negativ sehen (weder die Grenze noch die Grenzüberschreitung, denn:) Grenzen müssen immer wieder neu überdacht werden, sie müssen in Frage gestellt werden, um ihren Sinn immer wieder zu erneuern oder neu wiederzufinden, vielleicht auch, um verschoben und angepasst zu werden. Handkehrum bildet das, was innerhalb der Grenzen liegt, die Heimat dessen, der sie verlässt. Ich spreche da aus der eigenen, christlichen Erfahrung (leider hat sich gerade in fundamental-christlichen Kreisen die Bereitschaft, ihre Regeln und Gesetze zu überdenken, praktisch im Nichts aufgelöst. Entweder man akzeptiert sie und ist dabei, oder aber man überschreitet sie und dann gibt es kein zurück mehr (auch kein Zurückwollen mehr, denn ich wäre nicht mehr willkommen).
Am 11. Oktober 2007 um 15:18 Uhr
(Ich möchte noch hinzufügen, dass mein Standpunkt eine der vielen Funktionen von Grenzen und Gesetzen und Regeln vertritt. Ich glaube auch nicht, dass jeder in einer Glaubensgemeinschaft Mystiker sein muss. Es gibt Gläubige, die wirklich die Ordnung und die Regel suchen, die eine normierte Kongregation bieten kann. Und das ist gut so. Aber das ist nicht, was ich in der Religion suche. Ich wiederhole: Ich. )
Am 11. Oktober 2007 um 16:18 Uhr
Das wäre nicht minder anstrengend. Ha!
Am 11. Oktober 2007 um 16:23 Uhr
Was mir gerade einfällt: Es gibt ein Gebot, das geradezu als Anleitung zur Grenzüberschreitung dient: Das Gebot zur Gottes- und zur Nächstenliebe.
(Liebe kennt keine Grenzen.)
((Ich hätte doch Pfarrer werden sollen. *Grins))
Am 13. Oktober 2007 um 13:54 Uhr
Da hast Du mir ja eine schöne Vorlage gegeben, lieber Freund (und ich nehme Dir das selbstverständlich nicht krumm)
Vorweg: mir fehlt es an fundierter theologischer Ausbildung, die paar Jahre genossener Religionsunterricht haben nur einen Grundstein gelegt.
Erstens möchte ich einen grossen Unterschied zwischen Wissen(schaft), Glauben und Religion machen. Um die Welt zu erklären schufen die Menschen wahrscheinlich Anfangs die Mythen, die Ur/Naturgötter. Ein Versuch zu erklären, wieso die Sonne jeden Tag aufgeht, etc. Unterdessen sind alle diese Phänomene durch die Wissenschaft erklärt, und der Gedanke an einen Sonnengott, der seinen Wagen quer über den Himmel zieht auch in monotheistischen Religionen nicht in der Mode. Darauf können wir uns vermutlich einigen.
Aus diesen Natur(aber)glauben entwickelten sich dann die organisierten Religionen und die Sache wurde schlimmer und komplexer. Schnell war aus einem Glauben (den ich übrigens niemandem absprechen will) ein starres Gebilde (mit extremen Hierarchien -> Katholizsmus bzw. strengen Regeln –> Judentum, Islam) geworden. Dass alle drei Religionen an den gleichen Gott glauben und sich trotzdem (oder gerade deswegen) ist besonders pikant.
Diese Religionen wehren sich mit Händen und Füssen gegen Wissen. Sie halten an ihren starren Strukturen und Regeln fest, weil alles andere eine Gefahr für die Religion (nicht den Glauben) wäre. Reformation wird bestenfalls mit Argwohn betrachtet. Benno, wir waren gemeinsam in Boston in einer refomierten jüdischen Gemeinde. Wieso genau sind das keine „richtigen“ Juden? Weil sie nicht in einer Welt stehen geblieben sind, die es nicht mehr gibt?
Der „andere“, den Du oben ansprichst hat wahrscheinlich mehr von eurer Religion gelebt und umgesetzt als all jene die im Korsett der Buchstaben stecken geblieben sind.
Als Atheist lebe ich auch nach Regeln, die der sozialen Gemeinschaft, in der ich lebe. Es sind aber wenige und laufend durch die Legislatur angepasste. Ich habe gar die Möglichkeit mitzubestimmen. Etwas, das in Religionen völlig unmöglich ist und mit dem Scheiterhaufen, der Kugel oder der Ächtung durch die „wahren“ Gläubigen (ksk ohne Hut?, Ritt über die Schabbesgrenze?)
Falls es ihn denn wirklich gibt, euren Gott (und welcher ist dann überhaupt der richtige, und wieso haben alle das Gefühl, dass es nur ihrer sein kann) meint ihr ihm Gefalle eure intolerante Art zu leben? Ist Mikromanagement des Lebens (zwei Arten von Geschirr aufgrund eines Nebensatzes, den irgend jemand vor x-tausend Jahren mal geschrieben hat) das was aufrichtig wahren Glauben ausmacht? Sind es die Bomben die im Irak täglich Zivilisten zerfetzen? Sind es die in die Luft gesprengten Abtreibungskliniken? Die missbrauchten Chorknaben?
Ich sehe in nichts in dieser Welt einen Beweis für einen Gott. Ich sehe und erlebe täglich die Wunder die (nach aktuellem Wissen) der Zufall geschaffen hat. Ich brauche keine „höhere Macht“ um mich über mein Leben zu freuen. Ich brauche keine enstirnige, rechthaberische Religion, die mein Leben zwecks Machterhalt diktiert. Ich bin ein Mensch. Cogito ergo sum. Mir reicht das.
Am 13. Oktober 2007 um 20:54 Uhr
@jcf und benjamin:
tststs… dass ihr es immer wieder versucht, obwohl es zwischen euch vergeblich ist! ;)
btw: wir haben 3(!!!) sets geschirr und du warst mit uns in philadelphia und nicht in boston. :D
@jcf: ganz liebe grüsse (auch an die anderen alle)
Am 13. Oktober 2007 um 22:13 Uhr
@ksk: du weisst doch: ich gebe niemals auf…
3 sets? I rest my case
und natürlich philly – war wohl zu aufgeregt beim schreiben
Am 13. Oktober 2007 um 22:19 Uhr
@jcf:
du warst durch obigen beitrag schon aufgeregt? der war doch aber relativ harmlos. ich denke eher, die diskussion die jetzt entstehen könnte wird aufregend werden. ;) warte nur bis benjamin antwortet. hihihi
Am 13. Oktober 2007 um 22:32 Uhr
Na dann bin ich mal froher Erwartung… Wobei man solche Diskussionen eigentlich besser face to wine to face führen sollte.
Am 13. Oktober 2007 um 22:37 Uhr
*lach
bei euch finde ich es besser wenn der bildschirm zwischen euch steht. ;) face to face seid ihr doch beide viel zu emotional bei diesem thema um überhaupt richtig darüber diskutieren zu können. zumindest hatte ich immer den eindruck, da würde bei euch beiden eine wand zwischen stehen stehen statt dem wein.
ein wein wäre jetzt echt nicht schlecht!
Am 13. Oktober 2007 um 22:50 Uhr
@ksk: Es ist ja hoffentlich doch nicht vergeblich. Und wir haben 6! Sets Geschirr, es gibt noch 3 für Pessach :-)
Die Wunder sehen auch andere, sie sehen sie nur mit anderen Augen. Und ich möchte an dieser Stelle nur den einen Punkt einmal klären, der im Gespräch bislang nicht klärbar war: Es gibt keinen Beweis für die Urfrage, ob Gott existiert oder nicht. Die reine Glaubensfrage wird sich also auch künftig im Emotionalen entscheiden und immer eine persönliche bleiben. Wenn wir auf den „blind watchmaker“ zurückkommen wollen, so bleibt ja auch in diesem Fall die Frage und gleichzeitig Option offen, wer das „Spiel“ der Zufälligkeiten in Gang gesetzt hat. Einen antagonistischen Widerspruch zwischen Wissen und Glauben kann ich nicht sehen. Einstein konnte das übrigens auch nicht. Und das ist nur ein Beispiel. Ich sehe nicht einmal einen Widerspruch zwischen Evolutionslehre und Schöpfungsgeschichte (die ich, das wird niemanden verwundern, nicht wörtlich nehme).
Organisierte Religion ist ein ganz anderes Thema. Diese Religionen und ihr jeweiliger Codex sind von Menschen gemacht. Und dabei wurden jeweils Ziele verfolgt.
Das Judentum bspw. war die bindende Klammer für ein Sklavenvolk, das in die Freiheit zog. Es hat eine gewaltige Wandlung erfahren nach der Zerstörung des ersten und des zweiten Tempels. Die rabbinische Auslegung der Torah, wie wir sie heute kennen, trug Sorge dafür, dass Volk und Wertesystem erhalten bleiben – auch ohne Tempel, auch ohne Land und innerhalb der Gemeinschaft, wohin unter andere Völker sie auch immer verstreut ist.
Im Christentum und im Islam spielten von Anfang an auch Machtineressen eine vitale Rolle. Als Staatsreligion etwa des untergehenden römischen Reiches oder als Triebfeder für Mohammeds Eroberungsfeldzug durch den Orient.
Gerade für morgen wollte ich eine Gemara (Diskussion aus dem Talmud) bringen, die ganz zweifelsfrei die menschliche Herkunft der rabbinischen Tradition belegt – ein Widerspruch zur haredischen Auffassung, dass die mündliche Überlieferung wie auch die Torah selbst bereits Moses überliefert wurde.
In jedem Fall sind Religionen Lebensentwürfe. Entwürfe einer Lebensweise in Gesellschaft, die uns als Menschen besser machen sollen. Und selbstredend kann und muss man diskutieren, ob und wie weit das gelingt.
Wir können nun dem Glauben also nicht anlasten, was ein Problem einer bestimmten organisierten Religion ist. Wir können darüber hinaus aber auch nicht an Religionen andere oder höhere Ansprüche geltend machen als gegenüber andern Lebensentwürfen. Deswegen sind Geschehnisse wie Krieg, Fanatismus bis zu Attentaten und Kindesmissbrauch nicht als Zeugen der Anklage gegen Religionen zitierbar.
Menschliche Werte sind wandelbar. So konnte es beispielsweise im 20. Jahrhundert geschehen, dass Millionen Menschen (Juden, Roma, Homosexuelle, Kommunisten, Kranke) der industriellen Vernichtung zugeführt werden konnten, ohne dass dies einen Volksaufstand ausgelöst hätte. Wäre der Krieg für Deutschland nicht verloren gegangen, könnte Eutanasie bspw. heute in Europa gängige Praxis sein.
Mein persönliches Verständnis von Religion ist, dass bestimmte Werte unantastbar, unwandelbar und sogar unverhandelbar bleiben müssen. Strenge Gesetzlichkeit, der man freiwillig folgt wie im Judentum, ist für mich die tägliche Übung an sich selbst, das eigene Bedürfnis nach Unreglementiertheit einem unverhandelbaren Wert unterzuordnen.
Die Schwierigkeit besteht sicher darin, was man persönlich daraus macht, wo man die Grenzen zieht, wo im Spektrum des Normierten man sich ansiedelt. Sicher. Mir fällt allerdings schwer, das als Intoleranz zu betrachten.
Mein persönliches Selbstverständnis ist also das des Bewahrens von Werten. Die Einhaltung der Halacha als Religionsgesetz ist dafür ein Vehikel, das sich als sehr brauchbar und robust erwiesen hat, denn es würde andernfalls bereits nicht mehr existieren.
Meine Behauptung ist nun: Alle Differenzen, die es hier gibt, sind Differenzen zwischen Lebensentwürfen. Und Toleranz – die Du anmahnst – vorausgesetzt, sollte man auch mit solchen Differenzen gemeinsam leben können.
Ich würde mir wünschen, dass es gelingt, die Phobien so weit zu überwinden, dass man in jedem Gespräch jeweils den Menschen gegenüber sieht. Ebensowenig wie der heutige Papst der Inquisitor mittelalterlicher Hexenprozesse ist, kann man einen Juden, der Schabbat hält umgehend gleichsetzen mit weltabgewandten Steinewerfern in Mea Shearim. Und ebenso wenig ist ein frommer Moslem terroristischer Fanatiker. Und schliesslich ist auch ein Atheist – Du schreibst es ja – kein werteloser, einzig seiner Lust und seinen Launen Hingegebener.
Wenn ich keinem Lebensentwurf folgen darf, der irgendjemanden nicht von einem Verbrechen zurückhalten konnte oder von anderen schweren menschlichen Verfehlungen, dann gäbe es kein Modell, dem man folgen könnte.
Am 13. Oktober 2007 um 23:04 Uhr
Hmmm…. in Bezug auf die jüdische Religion: Waren die religiösen Gesetze so brauchbar? Ich stelle das in Frage, weil viele der Gesetze im Laufe der Zeit STRENGER geworden sind. Ich vermute weil die alten Gesetze eben nicht mehr ausgereicht haben.
Am 13. Oktober 2007 um 23:07 Uhr
Das ist – glaube ich – eine Systemschwäche. Und eine Frage der Mentalität. Nur ein schlechter Rabbiner verbietet alles (rät zur strengeren Auslegung). Der gute Rabbiner weiss, wo er gestatten, zur leichteren Auslegung raten kann. Aber gute Fachkräfte sind bekanntlich ganz schwer zu finden.
Am 14. Oktober 2007 um 01:16 Uhr
Wir sind gar nicht so unterschiedlicher Meinung. Und ich trenne ganz strikt zwischen Glauben und Religion. Persönlich glaube ich nicht an einen Schöpfer – die Wissenschaft liefert mir genügend Erklärungen und entwickelt sich ständig weiter. Und die Wissenschaft ist durchaus auch offen zuzugeben, dass sie vielen (noch) nicht weiss „wie die Dinge funktionieren“. Aber sie ist dem auf der Spur und jedes Jahr wächst unser Wissen. (Siehe etwa den Large Hadron Collider, der in Genf in Betrieb gegangen ist)
Eben: Glauben sei jedem unbenommen – mir reicht das Wissen…
Zu den Religionen habe ich, wie du sicher gesehen hast, ein stark gespaltenes Verhältnis. Mir gefällt der „ein-und-allein“ Anspruch der monoethischen Religionen nicht. Es gibt kein Und, es gibt nur ein Oder. „Wenn Du nicht an (meinen) Gott glaubst, dann ….“. Schon aus rein logischen Überlegung kann das doch nicht funktionieren, oder?
Als Lebensentwurf, da gebe ich dir Recht, hat Religion und die daraus entstehende Gemeinschaft einen Sinn. Ich fühle mich durchaus auch in der christlichen Tradition verwurzelt, ich weiss, dass unsere Gesellschaft darauf aufbaut und das wir viele unserer Zusammenslebensvorstellungen dieser Religion verdanken. Das sollen auch meine Kinder durchaus erfahren und erleben – halt ohne das damit verbundene Brimborium.
Müsste mehr schreiben, aber das vertage ich auf morgen, wenn ich wieder klar denken kann…