Lanzarote, Puerto del Carmen – Foto: © Kerstin S. Klein
Wohlbefinden steigt bei mir von den Füßen auf. Ich musste Vierzig werden, um zu entdecken, dass eine halbstündige Fußmassage mich zu entspannen vermag wie eine ganze Woche Urlaub unter der Sonne. Wärme – ja Hitze – und Sonne verschmähe ich allerdings nach wie vor nicht, und im diesjährigen Urlaub hatten wir gleich zu Beginn reichlich davon. Als wir vor acht Tagen auf Lanzarote landeten, wehte es kräftig von Osten, also von der Sahara her, übers Meer. Statt des typischen kanarischen Sommerwetters mit 28°C und leichtem Wind empfingen uns afrikanische Wüstenwinde. Die Strandpromenade und die mit weißen Flachbungalows, Villen und Hotelanlagen gesäumten Straßen von Puerto del Carmen lagen trotz Hochsaison wie ausgestorben unter der aus tupfenlos blauem Himmel gleißenden Sonne bei Temperaturen um 50°C. Die Böen, die uns entgegenschlugen, fühlten sich an, als stünde man im Strom eines überdimensionalen, auf Höchstleistung laufenden Föns. Bei unserer Ankunft in der Bungalowanlage entschuldigte sich die Rezeptionistin mit tränenverhangenem Blick für ihre Zerstreutheit. Am Tag zuvor, berichtete sie, sei einer ihrer Hunde am Hitzschlag gestorben, und sie hätte ihre Nachbarin bitten müssen, heute während der Arbeitszeit den zweiten ihrer Lieblinge mit kalten Handtuchwickeln vorm gleichen Schicksal zu bewahren.
Mich störte die Hitze nicht. Am kommenden Tag lag ich, bewehrt mit Lichtschutzfaktor 50, sogar eine halbe Stunde am Pool, bevor ich mich, aufgetankt mit Wärme und Licht, im nicht klimatisierten, aber doch deutlich kühleren Schlafzimmer unseres Bungalows in den Siesta-Schlaf fallen ließ – der Augenblick des ultimativen Herausfallens aus der Welt, dem Arbeitsstress und dem manischen Nachrichtenverfolgen, den ich schon seit Monaten herbeigesehnt hatte. Es wurde ein langer Mittagsschlaf, bis gegen Abend der Wind drehte, Wolken aufzogen und die Hitze schlagartig nachließ. Die Kinder wollten noch einmal baden. Nach dem Essen gingen wir in die Dämmerung hinein am Strand spazieren. Die Kinder setzen sich in die seichte Brandung, ließen sich von den lauwarmen Wellen überspülen und hatten ihr Vergnügen.
Lanzarote, Puerto del Carmen – Foto: © Kerstin S. Klein
Am zweiten Morgen war das Wüstenwetter überstanden. Die Rezeptionistin berichtete erleichtert vom Überleben ihres zweiten Lieblings. Der Ort erwachte wieder zu Hochsaisontreiben, und auf dem Weg zum Strand entdeckte ich eine Werbetafel, die in Gestalt einer knapp gehaltenen Preisliste in Spanisch und Englisch die Dienste eines ortsansässigen namenlosen Masseurs eher feststellte als anpries. Zu den aufgelisteten Positionen gehörten nicht etwa nur die üblichen Schulter-Nacken-Massagen, sondern auch diagnostische Behandlungen, Aromatherapien und Bein- und Fußmassagen.
Ich träume schon lange von einem Wellness-Urlaub in einem aufwändigen Spa-Hotel: eine Woche Schwitzen in Saunen und Dampfbädern, liebevolle Pflegebehandlungen für Gesicht, Hände und Füße und Entspannen auf gewärmten Lavasteinen und unter den wissenden, wohltuenden Händen charmanter, aber unnachgiebiger Masseurinnen. Die Vermutung trifft zu: Ich bin gewiss kein Verächter weiblicher Reize. Die letzten Sätze, sexuell gedeutet, wären jedoch missverstanden. Meine ansatzweisen Erfahrungen mit solchen Behandlungen decken sich nämlich mit meiner ursprünglichen Vorstellung davon: dass die Energien im Körper eher von der libidinösen auf die kreative Seite gewalkt werden. Weibliche Nähe ist in diesem Fall also eher Katalysator des Poetischen als sexuell aufladend und damit nicht nur eine schöpferische sondern auch die deutlich konfliktärmere Variante körperlicher Berührung.
Dass ich einen solchen Spa-Urlaub trotz der verführerischen Vorstellung der aus Tiefenentspannung heraufsprudelnden schöpferischen Energien bislang nie gebucht habe, liegt nur an den absurden Speisegesetzen meiner Religion. Die Rabbiner würden Nacktbadeurlaube in geschmischtgeschlechtlichen Spas ohnehin entschieden missbilligen. Das allein stört mich nicht im geringsten. Unkoscher zu essen, was sich bei den üblichen All-Inclusive-Angeboten der Wellness-Oasen kaum vermeiden ließe, wäre mir hingegen so unbehaglich, dass ich vermutlich die gesamte Prozedur nicht genießen könnte. So stelle ich mir die körperlichen – und damit auch seelischen – Segnungen eines Spa-Urlaubs bislang nur ausschweifend vor. Gebucht hingegen werden Sommeraufenthalte im eigenen Bungalow oder Appartement unter Palmen in Meeresnähe – mit eigener Küche für Selbstversorger.
Die Werbetafel auf der Strandpromenade von Puerto del Carmen ließ nun allerdings eher auf einen Osteopathen als auf einen gewöhnlichen Wellness-Masseur schließen. Sie annoncierte nämlich sogar eine 45-minütige Fußreflexzonenmassage. Über eine solche Distanz muss man schon wissen, was man tut. Und sie annoncierte sie namenlos (also nicht zwingend weiblich) und mobil, das heißt im eigenen Bungalow würde massiert werden. Einen derart unschuldigen Wellness-Genuss hätte sich selbst der Alter Rebbe von Lubawitsch nicht mit Recht versagen können. Also wurde die Telefonnummer notiert, und vom Hotel aus rief die Rezeptionistin für mich bei der Fußverwöhnungspraxis an und vereinbarte einen Termin für den heutigen Vormittag, 9:30 Uhr.
(wird fortgesetzt)
© Benjamin Stein (2010)
Am 21. August 2010 um 22:04 Uhr
Mich fasziniert immer wieder die unterschiedliche Temperaturtoleranz der Menschen. Bei +50°C Aussentemperatur würde mich niemand aus dem kühlen Haus herausbekommen. Hitze ist für mich etwas – wie soll ich sagen – grundsätzlich inakzeptables, da ich mich dagegen, anders als gegen Kälte (zumindest bis -30°C), nicht wehren kann, sofern ich ins Freie muss. Starke Hitze demoralisiert mich.
Aber erst einmal schöne Tage auf Lanzarote dem Hitzeresistenten!
Am 23. August 2010 um 11:38 Uhr
@HF: Ich sehe das ähnlich wie Sie, Und noch dazu bevorzuge ich Schnee und Regen. Aber es ist trotzdem sehr schön hier. :)
Am 23. August 2010 um 18:11 Uhr
@ksklein: Das ist die Hauptsache – dann gute Erholung! :-)
Am 25. August 2010 um 17:44 Uhr
Lieber Benjamin…, ja, und wie geht die Geschichte denn nun weiter, um Himmels willen…? – Kam es zum „Äußersten“, also zur Fußreflexzonenmassage….? Oder war das gar kein Cliffhänger, und die Geschichte ist hier schon zu Ende…? – Schade.
Wie auch immer, offenbar hattet Ihr allesamt einen herzerfrischenden Urlaub…?
Apropos: was ist denn eigentlich ein Spa-Urlaub…???
Am 25. August 2010 um 20:30 Uhr
Ich bin doch im Urlaub. Da gilt: Auch schreiben nur in kleinen Dosen. Aber die 2. von 3 Fortsetzungen habe ich heute eingestellt.
Am 26. August 2010 um 06:34 Uhr
Ach so bzw. iche verstehe, Ihr urlaubt noch. Ich dachte, Ihr seid schon retour.
Das kommt wohl davon, wenn man Teil II kursorisch liest, und dann noch den Blick fest lediglich auf die Fortsetzung von I gerichtet…?
Insofern: ich bleibe mal schön neugierig, übe mich in Geduld, und lese Teil II.
Wahrscheinlich ist ja auf der realen Handlungsebene auch noch gar nix entschieden bzw. passiert, ggf. biste ja noch mittenmang der Dir ungesucht zuteil werdenden Wellness-Maßnahmen…? Oder kurz davor…?
Apropos, schöne Idee, mit dem Urlaubstagebuch, wie ich finde, besonders für mich, und besonders heute. (Heute ist nämlich so gar nicht nix mit Garten bzw. Balkonien… / Stormy Weather über ganz Old Germany).
Am 26. August 2010 um 16:53 Uhr
Als »Reisetagebuch« war das eigentlich nicht gedacht, sondern als Erzählung, lediglich in Stücke geschnitten fürs Blog. Wie die Sache mit der Fußmassage ausging, kann man im dritten Teil nachlesen.
Am 22. Januar 2011 um 19:58 Uhr
[…] die Dauer meiner Existenz in diesem nächsten Zwischenreich.Abwegig wäre das nicht. Denn Wohlbefinden steigt bei mir von den Füßen auf. Sie mir zu nehmen und durch Hufe zu ersetzen, wäre definitiv eine Strafe, eine schmerzliche […]