••• Kürzlich erhielt ich eine Einladung vom Kulturreferat München. Am 10. Mai 2010 findet auf dem Münchner Königsplatz eine Gedenkveranstaltung statt. Mehr als 100 Personen sollen zwischen 11:00 und 19:00 Texte von Autoren lesen, deren Werke 1933 an ebenjener Stelle und an vielen anderen Orten der nationalsozialisten Bücherverbrennung anheimgefallen sind. »München liest – aus verbrannten Büchern«, so das Motto der Veranstaltung.
In den vergangenen Jahren lasen auf dem Königsplatz nicht nur Autoren, sondern auch Schauspieler, Schüler und Studenten, Politiker und engagierte Bürger. Wer sich beteiligen und einen der 5-Minuten-Slots bestreiten möchte, kann sich telefonisch unter 089 – 157 32 19 anmelden.
Ebenfalls am Montag, 10. Mai 2010 um 10.00 Uhr wird Wolfram P. Kastner auf dem Königsplatz vor der Antikensammlung (an der Stelle der Bücherverbrennung der Nazis und ihrer Sympathisanten von 1933) wieder eine Brandspur in den Rasen brennen – damit kein Gras über die Erinnerung an den Beginn der Brandstiftung wächst, die im Brand der Synagogen, Städte und Menschen endete.
Ich war sofort fest entschlossen, mich an der Aktion zu beteiligen. Man solle sich, so hieß es in der Einladung, einen Text aussuchen. Zu den »verbrannten Autoren« gehörten u. a.
Ernst Barlach • Oskar Baum • Vicki Baum • Martin Beradt • Franz Blei • Bertolt Brecht • Joseph Breitbach • Max Brod • Ferdinand Bruckner • Elias Canetti • Veza (Magd) Canetti • Elisabeth Castonier • Franz Th. Csokor • Alfred Döblin • Kasimir Edschmid • Hans Fallada • Lion Feuchtwanger • Marieluise Fleisser • Bruno Frank • Leonhard Frank • Richard Friedenthal • Oskar Maria Graf • Karl Grünberg • Willy Haas • Hans Habe • Jakob Haringer • Walter Hasenclever • Georg Hermann • Franz Hessel • Ödön von Horvath • Oskar Jellinek • Erich Kästner • Franz Kafka • Mascha Kaleko • Gina Kaus • Hermann Kesten • Irmgard Keun • Egon Erwin Kisch • Klabund • Annette Kolb • Gertrud Kolmar • Paul Kornfeld • Else Lasker-Schüler • Theodor Lessing • Jack London • Emil Ludwig • Heinrich Mann • Klaus Mann • Thomas Mann • Valeriu Marcu • Walter Mehring • Konrad Merz • Max Mohr • Erich Mühsam • Hans Natonek • Alfred Neumann • Robert Neumann • Leo Perutz • Theodor Pli(e)vier • Alfred Polgar • Gustav Regler • Erich Maria Remarque • Ludwig Renn • Alexander Roda-Roda • Joseph Roth • Hans Sahl • Anna Seghers • René Schickele • Arthur Schnitzler • Bruno Schulz • Upton Sinclair • Leopold Schwarzschild • Hilde Spiel • Adrienne Thomas • Ernst Toller • Friedrich Torberg • B. Traven • Karl Tschuppik • Kurt Tucholsky • Fritz v. Unruh • Johannes Urzidil • Berthold Viertel • Jakob Wassermann • Armin T. Wegner • Ernst Weiss • Franz Werfel • Eugen Gottlob Winkler • Theodor Wolff • Paul Zech • Carl Zuckmayer • Arnold Zweig • Stefan Zweig
Nun erfahre ich dass man wohlweißlich einen Text aussuchen solle, der unterdessen gemeinfrei ist. Andernfalls würde für die öffentliche Lesung ein Betrag von € 19.95 an die VG Wort fällig. Das ist ungemein deutsch und gründlich gedacht. An die von den Nazis verbrannten Werke zu erinnern, die zum Teil durch den faschistischen Kulturvernichtungswahn tatsächlich unverdient in Vergessenheit geraten sind, ist freilich eine engagierte Tat, die man hierzulande mit einem Strafzoll zugunsten der Erben der »Verbrannten« (so sie existieren) verhindern muss.
Ich will noch immer an der Veranstaltung teilnehmen. Ich könnte diesen Artikel hier lesen und im Anschluss eine Passage aus Leo Perutz‘ Roman »Zwischen 9 und 9«, rückwärts allerdings. Dann nämlich wäre es eine eigenständige künstlerische Leistung, und ich käme damit zollfrei durch. Die € 19.95 spende ich dann gern an eine Bibliothek zwecks Anschaffung eines Buches.
Ach, zu gern würde ich jetzt Tucholskys Kommentar zu dieser Posse hören.
Am 4. Mai 2010 um 21:11 Uhr
Du könntest vielleicht die Kinn-Passage lesen, die hatten wir hier ja schon mal.
Am 5. Mai 2010 um 08:59 Uhr
Das wäre was. Aber inzwischen habe ich das Buch ja gelesen und könnte mir auch andere Passagen gut vorstellen. Das Frollein auf der Parkbank bspw. wäre auch zu erwägen.
Am 5. Mai 2010 um 14:12 Uhr
sehr schade, dass ich selbst nicht die zeit finde für diese veranstaltung. ich hätte gerne einen text gelesen und mich strafbar gemacht, in erzwingungshaft dann eine ode an die deutschen verfasst, diesem merkwürdig scheinheiligen volks.
Am 6. Mai 2010 um 15:07 Uhr
Ich lese also am kommenden Montag kurz vor Schluss (18:50) Leo Perutz.
Am 10. Mai 2010 um 10:51 Uhr
Wird das irgendwo dokumentiert? Wie gern wäre ich dabei – ich muss gleich mal schauen, obs hier was Vergleichbares gibt!
Am 10. Mai 2010 um 10:54 Uhr
Ich glaube nicht, dass das dokumentiert wird. Wenn Presse da war, dann wohl heute früh anlässlich der Anbringung des »Rasenbrandmals«.
Am 10. Mai 2010 um 10:55 Uhr
@Paco: Ich werde übrigens nicht die Kinn-Passage lesen, sondern einen Ausschnitt aus dem Gelehrtengespräch über Haschisch-Konsum. Zu schade, dass ich nur fünf Minuten habe. Das ganze Kapitel zu lesen, wäre die wahre Freude.
Am 10. Mai 2010 um 11:04 Uhr
Hey, und mach keine Brand-/Ascheflecken in mein Buch. ;)
Am 10. Mai 2010 um 11:07 Uhr
Keine Sorge. Ich seh mich vor.
Am 10. Mai 2010 um 23:06 Uhr
Riesenpleite. Mit meinem Eintreffen am Ort des Geschehens setzten sintflutartige Regenfälle ein, und die Veranstaltung musste abgebrochen werden. Immerhin: Ich war da und fest entschlossen. Nächstes Jahr wird’s erneut versucht.
Am 11. Mai 2010 um 06:45 Uhr
Na, so’n Mist bzw. Pech. – Apropos: wollte Dir gestern noch Mast- und Schootbruch wünschen, fand das dann aber unpassend. – Hätte ich mal, was…? ;-)
Nee, im Ernst. Schade. Aber nach dem Spiel ist ja auch vor dem Spiel. Insofern: 2011 scheint die Sonne…!
Hat denn gestern überhaupt was stattgefunden, oder wurde von vornherein abgebrochen?
Am 11. Mai 2010 um 13:02 Uhr
Nur die letzten 20 min. sind ins Wasser gefallen.
Am 11. Mai 2010 um 13:25 Uhr
Das war ein Zeichen ;)
hihihi
Am 15. Mai 2010 um 20:43 Uhr
Ist Leo Perutz rückwärts noch Leo Perutz oder wird er in diesem Moment zu etwas Neuem, das den Nazis möglicherweise gar nicht verbrennenswert erschienen wäre?
Am 16. Mai 2010 um 17:59 Uhr
Das würde voraussetzen, dass die Verbrennungswut wesentlich auf inhaltlicher Auseinandersetzung gefußt hätte. Ich denke, die Verbrennungswütigen hatten da zu erheblichem Teil gröbere Kriterien.