••• Ist es richtig und wichtig, dass Journalisten in Krisenregionen reisen und – womöglich inmitten bewaffneter Auseinandersetzungen – Bericht erstatten? Ist also Krieg eine Reise wert? Ein leidenschaftlicher Reporter wird das ohne Zögern bejahen. Wie aber verhält es sich, wenn die Krise überstanden, der Krieg zu Ende ist. Gibt es dann nichts mehr zu berichten?
Anna-Patricia Kahn ist im Dezember 2006, nach dem Ende des Feldzugs gegen die Hisbollah, in den Norden Israels gereist, um mit den Menschen dort, wo täglich die Hisbollah-Raketen niedergegangen waren, über ihre Erfahrungen während der Kriegsmonate zu sprechen. Sie war zwischen 1997 und 2001 Nahostkorrespondentin des »Focus« mit Sitz in Jerusalem gewesen, danach für ein Jahr Media Communication Advisor für die UNO im Nahen Osten. 2002 hatte sie Israel verlassen, um in Paris, ihrer Geburtsstadt, als Psychoanalytikerin zu arbeiten. Warum machte sie sich noch einmal als Reporterin auf den Weg?
Dieser Krieg, so berichtet sie, hatte sie noch in über 1.000 km Entfernung mit Angst erfüllt. Der Krieg und die Reaktionen der Medien wie auch von Freunden: »Warum müsst ihr immer so aggressiv angreifen? Doch nichts gelernt aus der Geschichte?« Oder: »Warum bleibt ihr dort?« Ihr, ihr, ihr – und gemeint waren damit: Juden und Israelis.
Diese Reise in die Grenzgebiete Israels entwickelte sich zu einer Gratwanderung, die mich an meine eigenen inneren Grenzen brachte – und mitten in den Konflikt zwischen Israelis und Arabern, Juden und Deutschen. Und zu der Sache zwischen uns. Zu dieser Sache, die immer da ist, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Die altneue Sache, diese »Chose«, die uns nicht zur Ruhe kommen lässt.
Anna-Patricia Kahn berichtet in ihrem Buch »Die Sache zwischen uns« vom Existenzkampf eines Landes, das nach wie vor von Nachbarn umgeben ist, die das »zionistische Gebilde von der Landkarte getilgt« sehen wollen. Ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung dieses Landes sind Überlebende der Shoa und deren Nachkommen in erster, zweiter, dritter Generation. Die Existenzangst der einst Überlebenden ist nicht erledigt. Sie wurde an die Kinder und Kindeskinder weitergegeben. In mehreren sehr eindrücklichen Beispielen – ihre eigene Familiengeschichte eingeschlossen – zeigt die Autorin diesen fatalen Mechanismus psychologischer Vererbung.
Was sie ebenfalls beschreibt, ist die ungeheure Wut, die sie packt, wenn ihr jemand sagt: »Gerade Juden, weil sie so viel gelitten haben, sollten andere (sprich die Palästinenser oder die Libanesen etc.) nur noch gerechter behandeln.«
In dieser Bemerkung steckt die kaum verborgene Botschaft, dass Juden nach der Shoa die besseren Menschen zu sein haben. Dieser Gedanke, zu Ende gedacht, ist ein Gipfel des Zynismus und der Heuchelei: Juden wird verziehen, selbst die Leidtragenden einer jahrtausendewährenden Diskriminierung und Verfolgung zu sein, wenn sie ihre eigene Geschichte vergessen oder sich in einer nahezu fehlerfreien Haltung bewähren. Sie sollen zeigen, dass das Unmögliche für sie erreichbar ist.
Unfug? Selbst Jean-Paul Sartre hat 1967, nach dem Sechs-Tage-Krieg, diese intellektuelle Volte vorgeführt. Auf die Frage, ob die arabischen Staaten das Ziel verfolgt hätten, die israelische Bevölkerung zu vernichten, antwortete er: »Sie wollten zwar die Vernichtung der Juden. Aber nicht als Einzelpersonen, sondern als Staat.« Weiter gefragt, was er künftig von der Politik Israels erwarte, fügte er hinzu: »Wir müssen von dem jüdischen Staat viel mehr verlangen als von anderen Nationen.«
Mit psychoanalytischem Geschick zeigt Anna-Patricia Kahn die nach wie vor keineswegs gesunden Strukturen im jüdisch-deutschen Verhältnis auf. Dies allein wäre ein Grund, dieses Buch zu lesen. Darüber hinaus aber wird auch verständlich, dass und warum sich Israel so vehement verteidigt, verbissen und hart. Und schließlich ist Anna-Patricia Kahn eine begnadete Reporterin. Die Porträts, die sie von ihren Interviewpartnern – jüdischen und arabischen Israelis – zeichnet, sind plastisch, lebendig, bester Journalismus. Am stärksten aber ist sie dort, wo sie von sich und ihrer Familie, insbesondere von ihrem Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrer Großmutter erzählt, von der eigenen, ständigen Erschütterungen ausgesetzten Identität.
»Die Sache zwischen uns« ist bei Droemer als Taschenbuch erschienen. Der 190 Seiten umfassende Band ist derzeit leider nur noch antiquarisch erhältlich. Das ist schade. Ein Buch wie dieses ist wichtig in der heutigen Zeit, ein wesentlicher Beitrag zum gegenseitigen Verstehen.
Am 22.07.2008 führte Hans Oechsner auf BR alpha ein Gespräch mit Anna-Patricia Kahn. Das Manuskript der Sendung ist »» online verfügbar.
Am 14. Juni 2010 um 17:16 Uhr
[…] wir noch einmal auf die Frage der deutsch-jüdischen Geschichte zu sprechen, die »Chose«, wie Anna-Patricia Kahn sie nennt, und darauf, warum ich mich offenbar so deutlich in der Verwandtschaft jener […]