»Graupausen« • Eine Gastkolumne von Markus A. Hediger
Lieber Vater,
Ich habe mir eine neue Gewohnheit angeeignet. Nein, keine Bange. Die Finanzen sind unter Kontrolle. Ein Päckchen Zigaretten kostet in Bruanien in etwa so viel wie zu Hause ein Mineralwasser im Supermarkt.
Obwohl die Rauchware auch im Vergleich mit hiesigen Einkünften sehr preiswert ist, sieht man auf der Straße kaum einen Bruanier mit einer Zigarette im Mund. Zigaretten werden im Freundeskreis geraucht oder aber alleine in den eigenen vier Wänden in einem Moment der Muße, nie jedoch öffentlich.
Den Bruanien gilt die Zigarette nicht als Sucht-, sondern als Genussmittel. Bemerkenswert ist auch die Art und Weise, wie die Zigarette geraucht wird: Die Aufmerksamkeit gilt nicht so sehr dem Rauch, der von ihrer Spitze aufsteigt oder tief in die Lungen hinab gesogen wird, sondern der Asche.
Anders als bei uns wird sie nicht mit einem leichten Tippen des Zeigefingers in den Aschenbecher geklopft, sondern abgerollt. Wird gemeinschaftlich geraucht, macht man sich einen Sport daraus, aus den Ascheröllchen Figuren zu bilden, die von den übrigen erraten werden müssen.
Im Übrigen scheint die bruanesische Kultur einen Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der Liebe zu sehen. Noch ist dieser mir ein Rätsel, doch vermute ich, dass, sollte ich es lösen, ich einfacheren Zugang zu diesem Volk finden werde.
Meine Freizeit verbringe ich nun damit, mich in der Kunst des Ascheabrollens zu üben. Sie ist nicht so leicht zu beherrschen, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Will man präzise Figuren in den Aschenbecher legen, muss der Moment genau erkannt werden, in dem sich die Asche in der gewünschten Länge von der Glut ablösen lässt. Aufmerksamkeit, Beobachtungsgabe, Kunstfertigkeit und behutsamer Umgang sind gefragt. Den Aschenbecher, den ich für meine Übungen benutze, bekam ich von einer hübschen Dame geschenkt. Wenn ich rauche, denke ich an sie. Rauche ich nicht, verlangt es mich nach einer Zigarette.
Dein Sohn