Präzedenzfall

9. Februar 2010

Kaavya Viswanathan: »How Opal Mehta Got Kissed, Got Wild, and Got a Life«

••• Das Feuilleton zu lesen, ist dieser Tage alles andere als ein Vergnügen. Man sehe mir nach, dass ich mich als derzeit definitiv Befangener eines ausführlichen Kommentars enthalte. Eines möchte ich aber doch nicht versäumen zu empfehlen: Wenn die verunsicherte Kritik sich nun windet, möge sie doch einen Blick über den großen Teich werfen. Dort gab es vor vier Jahren einen Präzedenzfall, von dem man lernen kann, wie »unbeabsichtigten Cut-Ups« letztlich Recht widerfährt. »How Opal Mehta Got Kissed, Got Wild, and Got a Life« verursachte 2006 in den Staaten Aufsehen. Alter der Autorin, Ablauf des Geschehens und die Dauer zwischen Kritik-Honeymoon und finaler Versenkung von Autorin und Werk ähneln auffallend dem, was heute mit Helene Hegemann und ihrem Buch »Axolotl Roadkill« geschieht. Es ist keine Komödie.

Eine Frage möchte ich doch noch stellen: Darf man die Damen und Herren Kritiker an ihre jetzigen Aussagen erinnern, wenn die nächste Runde im Kampf gegen das »Google Books«-Projekt ansteht? Oder hieße das, Bemerkungen zum Urheberrecht vollständig aus dem Zusammenhang zu reißen?

PS: Während ich ein frisches Buch dort draußen habe, entfaltet sich vor mir in den Medien eine Geschichte, die der, die ich in der »Leinwand« verhandle, ähnelt. Das verursacht Trigger-Erscheinungen bei mir. Daher die heftige Aufregung. Ich hätte nicht angenommen, so erschreckend aktuell zu sein.

12 Reaktionen zu “Präzedenzfall”

  1. Markus A. Hediger

    Ich glaube, der Aufschrei im Feuilleton ist nur deshalb so laut, weil man vorher ebenso laut jubelte. Man las das Buch mit ebenso blauen Augen wie Hegemanns Lektor und Verlag. Es ist der Aufschrei der Überführten.

  2. Benjamin Stein

    Das sehe ich nicht anders. Und wenn ich mich aufrege, dann über alle Phasen dieser Inszenierung.

  3. ksklein

    Wo sind die Rescue-Tropfen. ;)

  4. Markus

    Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Fragen, die durch Copy+Paste Techniken, Remixen etc aufgeworfen werden, auch gründlich aufgearbeitet werden müssen.

    Es geht nämlich – oh Wunder – ja auch um Geld (da kupfert eine aus einem Buch ab, dem der Erfolg nicht zuteil wurde, und packt das ganze zwischen zwei von einem grossen Verlag gutvermarktete Buchdeckel). Da erstaunt es nicht, wenn gewisse Reaktionen etwas dünnhäutig ausfallen.

    (Und ein bisschen merkwürdig ist es doch schon, wenn die Autorin das Zitat von Wallace als solches deklariert, jene von einem unbekannten Kollegen jedoch nicht, oder sehe ich da was durch eine falsche Augenfarbe hindurch?)

  5. Benjamin Stein

    (Und ein bisschen merkwürdig ist es doch schon, wenn die Autorin das Zitat von Wallace als solches deklariert, jene von einem unbekannten Kollegen jedoch nicht, oder sehe ich da was durch eine falsche Augenfarbe hindurch?)

    Das wird man sehr genau einordnen können, wenn – was unausweichlich geschehen wird – einmal das gesamte Ausmaß der Fremdbedienung offengelegt ist.

  6. Markus A. Hediger

    Übrigens: an der Uni fliegt, wer ohne entsprechende Quellenabgaben abschreibt und dabei erwischt wird, raus. Da sind die Regeln ziemlich klar (zumindest auf dem Papier).

    Aber wäre Dichten eine Wissenschaft, gäbe es wohl auch Lehrstühle dafür.

  7. Markus A. Hediger

    Im Zürcher Tages-Anzeiger bringt ein Literaturwissenschafter der Uni Zürich das Problem ziemlich genau auf den (Geld-)Punkt.

  8. Benjamin Stein

    Der Fall Hegemann lässt in mir den dringenden Wunsch, nein, die aufrichtige Bitte aufkommen, dass sich die Literaturkritik hierzulande endlich weniger um Hypes oder die Biografie eines Autors kümmert und mehr um seinen Text.

    Danke, Herr Thomas von Steinaecker. Genau dies wäre auch mein Wunsch.

  9. Markus A. Hediger

    Einverstanden, Benjamin. Einverstanden, wenn es dabei um ein Buch wie die „Leinwand“ ginge. Einverstanden, wenn im Fall von „Axoloatl“ (ich hoffe, ich habe das richtig geschrieben) sämtliche Quellen offenlägen und wir endlich über die Remixtechniken (das scheint ja Hegemann als ihren „Echtheits“-Beitrag zu sehen) sprechen könnten. Über die Remixqualität kann man aber erst reden, wenn man das Originalmaterial kennt und daher einschätzen kann, worin Hegemanns ureigener Beitrag besteht. Damit dies möglich ist, müssen Autorin und Verlag erst noch ihre Hausaufgaben machen.

  10. Dorit

    Tja, mit der sog. Wahrheit ist es so eine Sache, und mit dem Aneignen von Leben, besonders wenn’s ein „fremdes“ ist…

    Aber wie verhält es sich denn mit der Biografie überhaupt, mit dem „konsistenten“ sog. Wesenskern…? Was ist es, was uns ICH sagen läßt…?

    Apropos, was ist eigentlich aus Binjamin Wilkomirski geworden…? Das ist doch wesentlich interessanter als eine Helene Hegemann. Die sitzt doch ziemlich unbeschädigt und fröhlich in deutschen Talkshows herum…

  11. Benjamin Stein

    Apropos, was ist eigentlich aus Binjamin Wilkomirski geworden…?

    Ich bin mit ihm übereingekommen, mich nicht öffentlich über ihn und den Fall zu äußern. Und daran werde ich mich auch halten.

  12. Benjamin Stein

    Die in der 4. Auflage beigefügte »Inspirationsliste« ist jedenfalls nicht kürzer als die im Wikipedia-Artikel zu »Opal Mehta« angeführte.

    Oh, sorry, ich hatte gelobt, kein Wort mehr darüber zu verlieren.

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