••• Das Feuilleton zu lesen, ist dieser Tage alles andere als ein Vergnügen. Man sehe mir nach, dass ich mich als derzeit definitiv Befangener eines ausführlichen Kommentars enthalte. Eines möchte ich aber doch nicht versäumen zu empfehlen: Wenn die verunsicherte Kritik sich nun windet, möge sie doch einen Blick über den großen Teich werfen. Dort gab es vor vier Jahren einen Präzedenzfall, von dem man lernen kann, wie »unbeabsichtigten Cut-Ups« letztlich Recht widerfährt. »How Opal Mehta Got Kissed, Got Wild, and Got a Life« verursachte 2006 in den Staaten Aufsehen. Alter der Autorin, Ablauf des Geschehens und die Dauer zwischen Kritik-Honeymoon und finaler Versenkung von Autorin und Werk ähneln auffallend dem, was heute mit Helene Hegemann und ihrem Buch »Axolotl Roadkill« geschieht. Es ist keine Komödie.
Eine Frage möchte ich doch noch stellen: Darf man die Damen und Herren Kritiker an ihre jetzigen Aussagen erinnern, wenn die nächste Runde im Kampf gegen das »Google Books«-Projekt ansteht? Oder hieße das, Bemerkungen zum Urheberrecht vollständig aus dem Zusammenhang zu reißen?
PS: Während ich ein frisches Buch dort draußen habe, entfaltet sich vor mir in den Medien eine Geschichte, die der, die ich in der »Leinwand« verhandle, ähnelt. Das verursacht Trigger-Erscheinungen bei mir. Daher die heftige Aufregung. Ich hätte nicht angenommen, so erschreckend aktuell zu sein.
Am 9. Februar 2010 um 12:37 Uhr
Ich glaube, der Aufschrei im Feuilleton ist nur deshalb so laut, weil man vorher ebenso laut jubelte. Man las das Buch mit ebenso blauen Augen wie Hegemanns Lektor und Verlag. Es ist der Aufschrei der Überführten.
Am 9. Februar 2010 um 12:55 Uhr
Das sehe ich nicht anders. Und wenn ich mich aufrege, dann über alle Phasen dieser Inszenierung.
Am 9. Februar 2010 um 14:17 Uhr
Wo sind die Rescue-Tropfen. ;)
Am 9. Februar 2010 um 15:06 Uhr
Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Fragen, die durch Copy+Paste Techniken, Remixen etc aufgeworfen werden, auch gründlich aufgearbeitet werden müssen.
Es geht nämlich – oh Wunder – ja auch um Geld (da kupfert eine aus einem Buch ab, dem der Erfolg nicht zuteil wurde, und packt das ganze zwischen zwei von einem grossen Verlag gutvermarktete Buchdeckel). Da erstaunt es nicht, wenn gewisse Reaktionen etwas dünnhäutig ausfallen.
(Und ein bisschen merkwürdig ist es doch schon, wenn die Autorin das Zitat von Wallace als solches deklariert, jene von einem unbekannten Kollegen jedoch nicht, oder sehe ich da was durch eine falsche Augenfarbe hindurch?)
Am 9. Februar 2010 um 15:24 Uhr
Das wird man sehr genau einordnen können, wenn – was unausweichlich geschehen wird – einmal das gesamte Ausmaß der Fremdbedienung offengelegt ist.
Am 9. Februar 2010 um 16:40 Uhr
Übrigens: an der Uni fliegt, wer ohne entsprechende Quellenabgaben abschreibt und dabei erwischt wird, raus. Da sind die Regeln ziemlich klar (zumindest auf dem Papier).
Aber wäre Dichten eine Wissenschaft, gäbe es wohl auch Lehrstühle dafür.
Am 9. Februar 2010 um 17:09 Uhr
Im Zürcher Tages-Anzeiger bringt ein Literaturwissenschafter der Uni Zürich das Problem ziemlich genau auf den (Geld-)Punkt.
Am 11. Februar 2010 um 19:48 Uhr
Danke, Herr Thomas von Steinaecker. Genau dies wäre auch mein Wunsch.
Am 11. Februar 2010 um 20:00 Uhr
Einverstanden, Benjamin. Einverstanden, wenn es dabei um ein Buch wie die „Leinwand“ ginge. Einverstanden, wenn im Fall von „Axoloatl“ (ich hoffe, ich habe das richtig geschrieben) sämtliche Quellen offenlägen und wir endlich über die Remixtechniken (das scheint ja Hegemann als ihren „Echtheits“-Beitrag zu sehen) sprechen könnten. Über die Remixqualität kann man aber erst reden, wenn man das Originalmaterial kennt und daher einschätzen kann, worin Hegemanns ureigener Beitrag besteht. Damit dies möglich ist, müssen Autorin und Verlag erst noch ihre Hausaufgaben machen.
Am 13. Februar 2010 um 09:54 Uhr
Tja, mit der sog. Wahrheit ist es so eine Sache, und mit dem Aneignen von Leben, besonders wenn’s ein „fremdes“ ist…
Aber wie verhält es sich denn mit der Biografie überhaupt, mit dem „konsistenten“ sog. Wesenskern…? Was ist es, was uns ICH sagen läßt…?
Apropos, was ist eigentlich aus Binjamin Wilkomirski geworden…? Das ist doch wesentlich interessanter als eine Helene Hegemann. Die sitzt doch ziemlich unbeschädigt und fröhlich in deutschen Talkshows herum…
Am 13. Februar 2010 um 18:44 Uhr
Ich bin mit ihm übereingekommen, mich nicht öffentlich über ihn und den Fall zu äußern. Und daran werde ich mich auch halten.
Am 17. Februar 2010 um 21:41 Uhr
Die in der 4. Auflage beigefügte »Inspirationsliste« ist jedenfalls nicht kürzer als die im Wikipedia-Artikel zu »Opal Mehta« angeführte.
Oh, sorry, ich hatte gelobt, kein Wort mehr darüber zu verlieren.