Ich dachte an die goldenen Zeiten

17. Dezember 2009

Red Shoes

Das Vorabexemplar des ersten Buches meines Mannes wollte und wollte nicht kommen, er hatte sogar zu trinken aufgehört und brüllte nachts, er werde aus dem Fenster springen, er werde sich vor einen Zug werfen, da zog ich an meinem nächsten freien Tag mein Paradekleidchen und meine roten Schuhe mit den Stöckelabsätzen an, ich nahm meinen Regenschirm und machte mich auf den Weg zum Verlag.

Bohumil Hrabal (1914-1997)
aus: »Ich dachte an die goldenen Zeiten«

••• Endlich mal ein bisschen Farbe hier im Turmsegler! Gestern hat mir die Herzdame einen echten Hrabal geschenkt: »Ich dachte an die goldenen Zeiten«, ein »Perlchen auf dem Grunde«, wie die Erzählerin dieses Romans wohl sagen würde, die Ehefrau also des vom Warten gepeinigten Schriftstellers, der dem Erscheinen seines ersten Erzählbandes entgegenfiebert. Das ist einer, der die grünen Kronenscheine seines Vorschusses im Einkaufsnetz (!) durch Prag trägt, was der Dame die Bemerkung einer Passantin einträgt: »Sie erleben wohl so allerlei mit ihm, nicht wahr?«

Nun habe ich mich gefragt, was für »rote Schuhe mit den Stöckelabsätzen« das gewesen sein mögen – vom »Paradekleidchen« zu schweigen, mit deren Hilfe die Dame dem Verlag das Vorabexemplar abzunötigen versuchte. Das wird im Text leider nicht vertieft. Aber wir erfahren immerhin, wie die roten Schuhe und der Regenschirm eingesetzt wurden…

Wie Hrabal hier mit den Motiven umgeht und sie variiert und transponiert – die Schuhe, den Schirm, die Farbe Rot, das Tänzeln – und wie er im Moment, da doch »das Größte« verhandelt wird, plötzlich die Diminutive bemüht – Schirmchen, Bändchen, Päckchen … – die zuvor ausgerechnet den roten Schühchen vorbehalten waren, mit denen … nun ja … wow!, das ist großartig.

 

Bohumil Hrabal, Ich dachte an die goldenen ZeitenDas Vorabexemplar des ersten Buches meines Mannes wollte und wollte nicht kommen, er hatte sogar zu trinken aufgehört und brüllte nachts, er werde aus dem Fenster springen, er werde sich vor einen Zug werfen, da zog ich an meinem nächsten freien Tag mein Paradekleidchen und meine roten Schuhe mit den Stöckelabsätzen an, ich nahm meinen Regenschirm und machte mich auf den Weg zum Verlag. Als ich vor dem Leiter dort stand und sagte, wer ich sei, zeigte ich mit dem Regenschirm in Richtung Liben, zum Damm, zur Nummer vierundzwanzig und sagte … Hören Sie gut zu, dort irgendwo liegt mein Kleinod, er säuft nicht mehr und hat nicht mal mehr die Kraft, sich unter einen Zug zu werfen, weil das Vorabexemplar seines berühmten Bändchens einfach nicht kommen will … Gehen Sie ruhig mal hin und schauen sich an, wie Sie meinen Mann zugerichtet haben! Und ich stand da, mit geschminkten Augen, in der Grundposition einer Ballerina, mein vorgeschobenes rotes Schühchen blitzte, und ich jagte diesem Leiter tatsächlich einen Schreck ein, er griff zum Telefonhörer und wiederholte mehrmals hintereinander … Ja … ja … ja … dann legte er auf und sagte, das Exemplar sei bereits unterwegs … und ich sagte, natürlich, unterwegs, doch bis es soweit ist, verendet mein Kleinod dort, ich hole es lieber selbst … wo ist denn dieses »Perlchen auf dem Grunde?« Und so geschah es, daß der Verlagsleiter höchstpersönlich zu mir sagte, ich verstehe Sie ja, ich konnte es auch kaum erwarten, bis mein erster Gedichtband erschien, ich wollte mich auch vor den Zug werfen und dachte an die letzten Dinge des Menschen … Und er hob nochmals den Hörer ab, und nach einer Weile kam ein Angestellter und brachte mir dieses Exemplar, das der Verlag eigentlich nicht aus den Händen geben durfte. Und ich verließ das Gebäude und schritt durch die Nationalstraße, und in einer Konditorei ließ ich dieses »Perlchen auf dem Grunde« in Seidenpapier einschlagen und mit einem Bändchen umwickeln, als sei es ein Geschenk … Dann stolzierte ich über den Wenzelsplatz, in der einen Hand den Regenschirm und in der anderen das mit dem roten Bändchen umwickelte »Perlchen auf dem Grunde«, ich schritt aus und träumte davon, wie schön es sein wird, wenn dieses Büchlein erschienen ist und mein Mann mit mir durch die Stadt spaziert und dieses »Perlchen auf dem Grunde« in den Schaufenstern der Buchläden ausliegt, was für einen Festschmaus ich bereiten werde, eine Hochzeit im Hause, der Sekt wird spritzen, als hätte mein Mann die Formel 1 gewonnen … Und dann hatte ich eine Idee, und ich ging in die Spálená-Gasse, zur Altstoff-Sammelstelle, wo mein Mann im Schein der Glühbirnen vier Jahre lang Altpapier gepackt hatte, ich betrat das Büro, und es war die Leiterin da, ja, sie, die meinen Mann gefeuert hatte, es war auch jener Kaderreferent da anwesend, der meinen Mann einen Drückeberger geschimpft hatte, weil er ein Stipendium des Literaturfonds des Schriftstellerverbandes erhalten hatte und nur noch halbtags arbeitete … und ich löste die rote Schleife und zeigte den blauen Einband herum und vor allem den Namen meines Mannes … und ich sagte … jetzt sehen Sie es mit eigenen Augen, mein Mann ist ein Schriftsteller und keineswegs das, als was ihr ihn hier beschimpft habt … und ich packte das »Perlchen auf dem Grunde« wieder ein, wickelte das rote Bändchen darum und ging mit dem Schirmchen hinaus, auf dem Hof drehte ich mich noch einmal zum Fenster hin und hielt das Päckchen in die Höhe und sah, daß alle wie vom Blitz getroffen dasaßen, das hatten sie nämlich nicht erwartet …

9 Reaktionen zu “Ich dachte an die goldenen Zeiten”

  1. ksklein

    hihihi… super ausschnitt

  2. Benjamin Stein

    Und die Schuhe?!

  3. Jens-Christian Fischer

    super schuhe – wen kümmert DER Auschnitt?

  4. Benjamin Stein

    Literaturbanause!

  5. Jens-Christian Fischer

    hab ich jetzt was falsch verstanden? Oder den falschen Kontext?

  6. ksklein

    also echt: benjamin, du wolltest doch über die schuhe reden. nicht REDEN sondern KAUFEN! ;)

    (aber für jcf – nicht für mich. ;) diese gefallen mir nicht so – eigentlich gar nicht: kein schönes rot, bei der höhe wippt die hüfte nicht hin und her beim gehen, etc. das ist mir wichtiger)

  7. Jens-Christian Fischer

    Und um die Literaten unter den Lesern zu beruhigen: Der Auschnitt aus dem Text, den Benjamin uns gezeigt hat, ist köstlich zu lesen.

  8. Benjamin Stein

    Nicht REDEN sondern KAUFEN!

    Ich könnte in diesen Schuhen doch gar nicht laufen :-) Übrigens gefällt mir gerade dieses Rot.

  9. Benjamin Stein

    Leute, dieses Buch macht mich so glücklich! Dringend zu empfehlen.

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