Geschliffen wird ein Diamant nahezu geräuschlos auf einer Stahlscheibe, die mit Diamantstaubpaste eingerieben ist.
••• Als ich das letzte Mal hier war, hatten die Diamantäre Urlaub. In der Hoveniersstraat war so gut wie nichts los. Ganz anders heute: Geschäftiges Treiben überall, Juden, Inder und einige Chinesen eilen durch die Straße. Die Hoveniersstraat ist zwar sehr kurz, und es liegen nur ein paar Dutzend Gebäude hier. Diese aber sind sehr tief gebaut und reichen auf der einen Seite bis zur Pelikaanstraat, auf der anderen bis zu Langen Herentalsestraat, so dass sie Tausenden Diamantbüros und -Werkstätten Platz bieten.
Mein Rundgang begann im Juweliergeschäft von Erwin Engel, der gerade winzige Diamanten für den Vollbesatz einer Uhrenlünette sortierte und vermaß. Ich hatte Mühe, mich zu konzentrieren. Es war wohl nicht nur einem gehörigen Schlafdefizit geschuldet, dass ich heute erst um 10:00 Uhr aufgewacht bin. Die Kopfschmerzen gestern waren Vorboten unangenehmerer Dinge. Ich kam bei Erwin Engel mit heftigen Magenschmerzen an, und mein Kreislauf gab eine Achterbahneinlage. Nach kurzer Pause haben wir uns dann natürlich dennoch auf den Weg gemacht.
Erster Stopp: Diamantenbörse. Der Börsenraum sieht aus wie ein Beis Medresch, nur ohne Bücher, lange Tischreihen, an denen sich die Handelspartner gegenübersitzen und Umschläge mit Steinen hin und her schieben und begutachten. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, nachmittags spiele man Karten. In der separaten smoking lounge, höre ich, kann man auch vormittags schon Backgammon spielen. Die Börse ist heute weniger Handelsplatz als Schmiese-Platz – also man trifft sich und schwätzt, erfährt dieses und jenes. Drei solcher Handelssäle gibt es in der Hoveniersstraat. Voll ist es nirgends, denn die leerstehenden Räume in diesen Börsen und die Aushänge dort machen deutlich, dass die Zeit dieser Börsen abgelaufen ist. Die Telefonzentrale ist schon seit Jahren außer Betrieb, da jeder wenigstens ein Handy bei sich hat. Und die Aushänge?
Da werden Personalien bekanntgegeben: Wer hat welche Firma verlassen und ist nicht mehr unterschriftsberechtigt (»we are no longer responsible for any of his actions or transactions«) … Wer ist und aus welchem Grund nicht mehr Mitglied der Börse: unbezahlte Gebühren, Bankrott, Strafen … Wer ist als Kandidat für eine Börsenmitgliedschaft akzeptiert worden … Es hängen Fotos der Sicherheitskameras aus mit dem Konterfei bestgekleideter Ganoven, die fälschlich im Namen einer bestimmten Firma versucht haben, andere Diamantäre übers Ohr zu hauen. Ungläubig betrachte ich die Lost-and-Found-Aushänge: Da vermisst tatsächlich jemand 10 Steine zwischen 3 und 6.5 ct! Ja, bestätigt mir mein Begleiter, es würden hier so viele Umschläge die Hände wechseln, dass es ganz ohne bösen Willen vorkommen könne, dass ein ganzes Lot Diamanten verlorengeht. Die Händler verlören beim täglichen Hantieren mit den Steinen schnell das Gefühl für den Wert der Diamanten. Dann schließlich noch der Aushang mit Gesuchen: Größe, Form, Qualität, was eben gesucht wird. Diese Anzeigen stehen heute allesamt im Internet auf der – natürlich geschlossenen – Handelssite der Börse. Niemand müsste sich noch selbst in die Börse bemühen, um diese Informationen zu bekommen.
Ich kenne jetzt also die aktuellen Handelspreise, die ich natürlich nicht verrate. Aber immerhin verstehe ich jetzt, dass sich die unzähligen Diamantgeschäfte im und um den Diamond District, die Steine an Endkunden verkaufen, mit den lautstark im Schaufenster annoncierten Rabatten von 50% noch lange nicht ruinieren…
Nach dem Studium der Aushänge muss ich mich setzen. Mein Begleiter ist besorgt. Offenbar sehe ich auch so übel aus, wie ich mich fühle. Aber ich will die Tour jetzt nicht abbrechen. Immerhin bin ich eigens dafür hergekommen.
Nach ein paar Minuten an der frischen Luft geht es wieder, und wir setzen die Tour fort, durchs verwirrende Labyrinth der Gänge, die viele der Gebäude in der Hoveniersstraat miteinander verbinden. Wir machen Halt bei Reb Eis, einem der wenigen jüdischen Schleifer, die noch hier arbeiten. Die meisten Schleifarbeiten werden heute in China ausgeführt, und das ist kein Ort für fromme Juden, weswegen die jüdischen Firmen, die Steine geschliffen haben, so lange mit dem Outsourcing warteten, bis es zu spät war und andere das Geschäft übernommen hatten, Inder zumeist. Reb Eis führt heute noch Reparaturen und Verbesserungen aus und hat damit sein Auskommen. Ich darf seinem Angestellten beim Schleifen über die Schulter sehen und bekomme die Basics erklärt.
Der Schleifer legt den Schleifwinkel über die Einspannung des Steins in dieser beweglichen Schraubzwinge fest. Diese liegt, wenn geschliffen wird, fest auf einer Führungsschiene, so dass der Schleifer nur noch Anpressdruck und Dauer eines Schleifschrittes kontrollieren muss. Nach jedem Schleifgang (einige Sekunden) wird das Ergebnis unter der Lupe begutachtet.
Der Diamant wird in den Arm eingespannt. Über die Stellschrauben kann der Stein dann genau um den für die gewünschten Facetten nötigen Winkel gedreht werden.
Reb Eis führt mir dann noch eine kleine Wundermaschine vor, einen an einen ordinären PC angeschlossenen Diamantscanner, der binnen Sekunden einen Stein von allen Seiten dutzendfach fotografiert und analysiert und basierend auf diesen Aufnahmen Vorschläge für einen optimalen Schliff gibt.
Computertechnik ermöglicht heute, was früher langjährige Erfahrung erforderte. Der Diamant wird digital hundertfach von allen Seiten fotografiert. Das Programm schlägt dann die Form vor, bei der am wenigsten Material verlorengeht. Alternativ kann der Diamantär eine Form wählen und erhält einen Vorschlag (auf Micrometer) für die Facettierung. So werden auch bereits geschliffene Diamanten vermessen, um ihren Schliff ggf. zu verbessern.
Es sei, erfahre ich, nicht allzu schwer, das Schleifen zu lernen. Den optimalen Schliff zu planen, den Stein und seine innere Beschaffenheit zu erkennen aber, dafür brauche es schon viel Erfahrung.
Letzte Station auf unserem Rundgang machen wir ein Haus weiter bei einem Steinsetzer, der Diamanten und andere Edelsteine in Schmuckstücke fasst.
Beim Steinsetzen (hier eine Brosche) wird das Schmuckstück in einen Block aus einer Art Siegellack gedrückt. Dieser verflüssigt sich schnell unter Hitze und gibt besten Halt, wenn er wieder erkaltet ist. Hier werden Baguette-Diamanten aus einem Schmuckstück entfernt, um in einem neuen Schmuckstück wiederverwendet zu werden.
Der Steinsetzer braucht beide Hände und trägt daher einen beachtlichen Lupenaufbau direkt ans Brillengestell montiert.
Ich musste mich nach dem Rundgang schnell von den Engels verabschieden, denn Magen und Kreislauf gaben keine Ruhe. Ich habe gerade eben so noch das Hotel erreicht und mich für den Rest des Nachmittags ins Bett gelegt. Ich werde wohl eine zusätzliche Nacht buchen müssen. Mein Flugzeug zurück nach München geht morgen erst am späten Abend von Brüssel. Ich kann in meinem jetzigen Zustand unmöglich morgen den ganzen Tag durch die Straßen ziehen.
Am 16. November 2009 um 21:12 Uhr
hab den schmarrn gerade hinter mir. hoffe, du bist bald wieder auf dem damm.