Appeasement

10. November 2009

Henryk M. Broder: »Hurra, wir kapitulieren!« (Von der Lust am Einknicken), © Pantheon Verlag 2007

Was heute der »Migrationshintergrund« ist, das war mal die Oma aus Schlesien. Sie saß den ganzen Tag in der Küche rum und verbreitete Schuldgefühle. War sie schlecht gelaunt, schaute sie stumm aus dem Fenster. War sie dagegen guter Laune, erzählte sie Geschichten von früher: dass in Ratibor alles schöner, besser und sauberer war. Oma war eine Nervensäge, aber ein harmloser Mensch, der sich nach etwas sehnte, das es nicht mehr gab. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, das Essen aus dem Fenster zu werfen oder ihre Enkel zu schlagen, weil sie selbst als Kind Haus und Hof verlassen musste. Denn Oma hatte zwar einen »Migrationshintergrund«, sie hatte aber auch Manieren. Einer ihrer Lieblingssätze war: »Das macht man nicht.« Der Satz reichte, um sich im Leben zurechtzufinden.

Henryk M. Broder, aus: »Hurra, wir kapitulieren!«
(Von der Lust am Einknicken)
© Pantheon Verlag 2007

••• Ich wurde letztens gefragt, ob mir die zunehmende Kopftuchdichte in München nicht Angst mache und ob sich die Jüdische Gemeinde eigentlich der Initiative gegen Moscheen in Bayern anschließen würde. Wo bliebe denn da das »Recht auf Heimat«, wenn in München Minarette in den Himmel ragten? Da war ich perplex.

Mir sei, sagte ich, das mit den Kopftüchern schon aufgefallen. Besonders am Sonntag auf dem Weg zur Schwiegermutter nach Schongau ist bald ein Viertel der Mitreisenden bekopftucht, wenn nicht gar verschleiert. Aber in gewisser Hinsicht sei mir der Islam als Gesetzesreligion tatsächlich näher als etwa der Katholizismus. Gegen Moscheen zu demonstrieren, sei darüber hinaus doch ganz schwierig, wenn man bedenkt, dass erst vor drei Jahren am Jakobsplatz – mitten in München – eine neue Synagoge samt jüdischem Gemeindezentrum eingeweiht wurde. Es ist ja nun auch noch nicht zum Vergessen lang her, dass Bürger dieses Landes in Synagogen eine Einschränkung ihres »Rechts auf Heimat« sahen und es vorzogen, sie niederzubrennen…

Damit war die Debatte aber erst eröffnet, und wir standen mitten im Thema »Islamophobie«, und sie ist seither nur unterbrochen worden, aber nicht abgebrochen. Und als nun Broder vor kurzem seinen PR-Coup landete, für das Amt des jüdischen Zentralratspräsidenten kandidieren zu wollen, flammte die Diskussion erst recht wieder auf. Ich bin kein Broder-Fan. Das wird ihn nicht stören, und ich darf es frei zugeben. Er ist ein brillianter Kopf und Schreiber. Nur leider überzieht er in schöner Regelmäßigkeit, was immer er tut, genau um die paar Grade (manchmal auch mehr) die den Unterschied ausmachen zwischen »Chapeau!« und »Naja, Broder eben…« Broder als Zentralratspräsident, sagte ich denn auch, das würde mir grade noch fehlen: ein Trommler auf diesem doch vor allem diplomatischen Posten.

Das ist es ja gerade, hörte ich prompt. Der ist so erfrischend un-PC hält nichts von Appeasement gegenüber den Moslems. Und prompt bekam ich oben zitiertes Buch ausgeliehen. Ausgehend von einer Zusammenfassung der weltweiten Affäre um die dänischen Mohammed-Karikaturen, über einen Iran-Ahmadinedschad-Exkurs bis hin zu lebendigen Beispielen aus dem heutigen deutschen Schulalltag widmet sich Broder in diesem Buch seiner These, dass Europa, ja der Westen insgesamt, mit der allseits verfolgten Appeasement-Politik bereits vor der muslimischen Gewalt kapituliert habe. Aus Angst. Und das gewählte Motto des Buches, ein Ausspruch Winston Churchills (der wusste, wovon er redete), klärt deutlich den Begriff: »An appeaser is one who feeds a crocodile, hoping it will eat him last.«

Nur nicht provozieren, so charakterisiert Broder die Appeaser und zitiert den Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter: Man müsse jegliche Provokationen unterlassen. Was die islamischen Völker bräuchten, wäre »eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe«. Woraufhin Broder fragt:

Welche Provokationen der Westen unterlassen sollte und wie eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe konkret aussehen könnte, sagte Richter nicht. […] Sollen, um auf gleiche Augenhöhe zu kommen, eigene Abteile für Frauen in Bussen eingerichtet werden, wie das in Saudi-Arabien der Brauch ist? Soll das Heiratsalter für Mädchen auf elf Jahre gesenkt werden, wie es im Iran der Fall ist? Soll für Ehebruch die Todesstrafe durch Steinigen eingeführt werden, wie es die Scharia verlangt? Was könnte der Westen noch unternehmen, um seinen Respekt vor der kulturellen Identität der islamischen Länder zu bekunden?

Hätte ich die Lektüre nicht aus Erfahrung mit vorgeschnalltem Broder-Filter begonnen, wäre ich jetzt islamophob. Dank dieses Filters hat mich aber immerhin der wesentliche Gedanke erreicht, dass in dieser Frage Haltung gefordert ist. Bei der polemischen Erwähnung der Scharia und der Frauenabteile in Bussen, durchfuhr es mich nämlich gleich zweimal.

Schaue ich in die Torah, stelle ich fest, dass sie nicht weniger drakonische Leibesstrafen vorsieht als die Scharia. Jehuda etwa, Vorfahre der berühmten jüdischen Könige David und Salomon, zögerte nicht, Tamar zur Steinigung freizugeben, als sie – da ohne Ehemann schwanger – der sexuellen Liederlichkeit bezichtigt wurde. Lediglich der Umstand, dass Jehuda selbst sich als Erzeuger des Kindes herausstellte, bewahrte sie vor dem Tod. »Auge für Auge, Zahn für Zahn« heißt es ebenfalls in der Torah. Da haben wir, könnte man meinen, eine Gesetzgebung, die der Scharia doch recht verwandt ist.

Nun ist sie es aber eben nicht, denn das rabbinische Judentum kennt keine vergeltenden Körperstrafen. An ihre Stelle wurde das Prinzip der finanziellen Entschädigung gesetzt, die dem Täter den finanziellen Gegenwert des verursachten Schadens abfordert – zuzüglich Entschädigung für Heilung, öffentlich erlittene Schande und Arbeitsausfall und gegebenenfalls einer zugefügten Strafsumme. Für diverse Vergehen sieht auch die Torah die Todesstrafe vor. Das rabbinische Rechtssystem hat diese jedoch vor mehr als 2.000 Jahren bereits praktisch abgeschafft, indem durch extrem strenge Verfahrensvorschriften die Verhängung eines solchen Urteils quasi unmöglich gemacht wurde. Ich halte dies für eine Kulturleistung. Erbracht wurde sie zu einem beträchtlichen Teil unter extremem Druck.

Dankbar bin ich Broder für seine Faktensammlung im zitierten Buch und für den Denkanstoß. Welch heftige Blüten die Appeasement-Politik bereits getrieben hat und weiter treibt, war mir so deutlich nicht bewusst. (Die Günter-Grass-Zitate etwa haben wahre Kabarett-Qualitäten!) Ich jedenfalls möchte nicht kapitulieren. Der Islam, zumal in extremen und nicht selten politisch instrumentalisierten Strömungen, testet derzeit weltweit unsere Grenzen aus – wie Halbstarke im schlimmsten schwierigen Alter. Da muss man die Nerven bewahren und sich konsequent verwahren gegen Unzumutbarkeiten. Appeasment hilft da nicht weiter. In der Kindererziehung ist das auch nicht anders.

7 Reaktionen zu “Appeasement”

  1. Herr H

    Also mich hat noch kein kopftuch tragendes Mädchen oder eine Kopftuchtragende Frau provoziert. Ich habe nur Angst vor dieser Hetze gegen Moslems.

    In den neunzigern brannten in Solingen und Mölm zwei Häuser, türkische Familien starben dort.

    In Hoyerswerda und Rostock standen tagelang anständige Deutsche und applaudierten weil Skins Brandsätze in Flüchtlingsheime warfen.

    In den Neunzigern redete ein Herr Karadzic redete von der Gefahr Bosnien anzuerkennen, er redete davon, das Europa und die ganze Welt Gefahr läuft von Muslems übernommen zu werden.

    Er führte in den serbisch besetzten Gebieten von Bosnien ein, dass Menschen muslemischen Glaubens mit gelben Bändern herumlaufen mussten, die serbischen Nationalisten übernahmen die Nürnberger Rassengesetze und brachten weit über 250 000 Menschen nur deshalb um weil sie muslemischen glaubens waren.

    Ich muss keinem nach dem Mund reden nur weil er einen anderen oder keinen Glauben hat, aber ich kann es tolerieren und ich kann auch sagen, dass ich das erzwungene Kopftuchtragen Scheisse finde, aber ich muss es so sagen, dass ich den Anderen existieren lasse und der Ton der gerade in diesem Land angeschlagen wird ist der allerschlimmste, als hätte man keinen Grund zurückhaltender zu sein, als hätte man keine Vergangenheit.

  2. Benjamin Stein

    Solingen und Mölln – schau das mal nach – liegen schon länger zurück, als es dir scheint; und verantwortlich waren damals ebenso »kulturferne« Gestalten. Fremdenfeindlichkeit an sich ist das Thema dieser Kreise, Moslem oder nicht.

    Broder übrigens hetzt in diesem Buch keineswegs gegen Muslime. Es geht um die weltweit geäußerten untragbaren Forderungen des Islam an Anders- und Ungläubige im Namen der Toleranz, geäußert von Kreisen, die sich vor allem durch vollständige Toleranzfreiheit auszeichnen.

    Wenn etwa an einer Schule in Linz (Österreich) von drei muslimischen Vätern gefordert wird, dass die (nichtmuslimischen, österreichischen) Lehrerinnen Kopftuch zu tragen hätten. Und im übrigen nicht mit Sie angesprochen werden müssten, weil sie das als Frauen nicht verdienten.

    Es geht um Fatwas gegen Künstler und brennende dänische Botschaften als Antwort auf 12 Karikaturen in einer Zeitung.

    Etc. pp.

    Auch mit Bosnien und den dortigen »ethnischen Säuberungen« hat dies also gar nichts zu tun.

  3. Herr H

    Wenn ich fordern würde dass alle gut gekleideten Frauen Gedichte für mich schreiben müssten, würde es doch auch keinen Aufschrei geben, ich meine was sind denn drei Männer muselmische Glaubens die gerne sehen würden wie Österreicher mit Kopftuch aussehen?

    Glaubst Du im Ernst wenn Drei so was sagen, dann würde es gemacht?

    Dann wäre die Welt aber einfach, da schnapp ich mir aber ich mir aber zwei und stelle auch Forderungen auf, wie zum Beispiel, ein Flugverbot für Mücken, so etwas in der Art.

  4. Benjamin Stein

    Glaubst Du im Ernst wenn Drei so was sagen, dann würde es gemacht?

    Die Unannehmbarkeit besteht schon darin, dass es gefordert wird. Und ich würde Deine Gedichteforderungen ungern vergleichen mit den unverhohlenen Forderungen der Hamas etwa nach Finanzspritzen aus der EU, damit im Gegenzug auf Terroranschläge in Europa verzichtet wird. Bei Pizzerien und Asia-Restaurants nennt man sowas gewöhnlich Schutzgelderpressung und die Erpresser Mafiosi.

  5. daniel

    Bereits als an der Universität in Istanbul (!) das Kopftuchtragen verboten wurde war ich hin- und her gerissen, zwischen „Verteidigung“ gegen Islamismus und demokratischen Rechten.

    Als in Deutschland dann die Kopftuchdebatte für Lehrerinnen kam ging es weiter und wurde dann aber zu einer – für mich kleinen Katastrophe als in Frankreich selbst SCHÜLERINNEN das Kopftuch verboten wurde!

    Wie war ich geschockt von – sonst in meinen Augen doch normalen Menschen – hören zu müssen, dass sie das Kopftuch als Provokation, empfinden, das es sie stört!

    Andererseits denke ich – und da bin ich doch mit Broder, zuviele im Westen ignorieren die aktuellen Entwicklungen:

    • kein Untericht über die Shoah in GB um die Moslems nicht zu beleidigen?
    • Zwang für andere Kopftuch zu tragen!
    • Meinungsfreiheit
    • Hetze gegen Juden, Homosexuelle
    • etc.

    Und last but not least denke ich gerade der Vergleich mit der Torah ist hier deutlich: Theorie und Praxis, oder das christliche Verständnis z.B. von Auge um Auge … und die reelle Anwendung sind weit auseinander. Bei der Sharia wird es jedoch schwer, wird diese doch weltweit in vielen Ländern angewendet.

    Die Warnungen Broders halte ich durchaus für berechtigt – aber wenn man die Geburtenraten betrachtet ist es vielleicht schon zu spät…

    Schöne Grüsse aus Paris, wo Moslems erhobenen Hauptes überall herumgehen können, als Jude tut man besser daran verschiedene Gegenden zu meiden, wenn einem Gesundheit und Leben lieb sind.

  6. Herr H

    um was geht es Dir dann konkret, was würdest Du dir wünschen.
    Die idiotische Hamas werden wir beide nicht abschaffen können

  7. Benjamin Stein

    Was ich mir wünsche? Wie wäre das: Kein Fußbreit Entgegenkommen mehr gegenüber Kreisen, die mit Gewaltandrohung Toleranz einfordern. Oder das: Kein Fußbreit Entgegenkommen gegenüber Äußerungen und Handlungen in unserem Land, die dem Grundgesetz zuwiderlaufen – und zwar unabhängig davon, aus welchen religiösen oder anderweitig »kulturellen« Gründen dies geschieht. Oder schließlich: Keine Entschuldigungen mehr für als Provokation aufgefasste Äußerungen, die nach westlichem Verständnis klar in den Bereich der Diskurskultur fallen. Das wäre ja schon mal ein Anfang.

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