Originalausgabe von »Robinson Crusoe« (Quelle: wikipedia)
Während der nächsten fünf Jahre begegnete mir nun nichts Außergewöhnliches.
••• Vor 350 Jahren – 1719 – erschien Daniel Defoes »Weltbuch« »Robinson Crusoe«. Der Roman begründete ein Genre, die sogenannte Robinsonade. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden bereits nicht weniger als 700 Ausgaben gezählt. Wie viele es bis heute sind, mag man sich ausmalen.
Daniel Defoe — auch so ein Popstar? Vielleicht.
FAZ.NET widmet dem Roman und den historischen Vorlagen heute einen interessanten Beitrag, der auch literaturwissenschaftlich nicht unspannend ist.
Der Roman ist insofern das beste Beispiel für das, was der Anglist Franco Moretti den Einsatz von »fillers«, also Füllmaterial, im Unterschied zu »Wendepunkten« nennt. An jeder Erzählung kann man unterscheiden, an welche ihrer Elemente man sich leicht und woran man sich nach kurzer Zeit kaum mehr erinnert. Wer die Probe an »Robinson Crusoe« und sich selbst macht, wird mit wenig mehr dastehen als: Schiffbruch, Selbsterhaltung, Freitag, Abreise. Anders formuliert: Anfang, Mitte, Ende. Aber dazwischen? Hunderte von Seiten, auf denen über nichts als Ziegenzucht, das Schnitzen von Mobiliar, das Wetter oder das Fieber des Insulaners berichtet wird. Einmal heißt es: »Während der nächsten fünf Jahre begegnete mir nun nichts Außergewöhnliches.« Die Chronik der achtundzwanzigjährigen Gefangenschaft ist ein unerhörter Vorgang, der aus fast nichts als Alltäglichkeit besteht. Wie sollte es auch anders sein, bei einem Buch, das in zwei Dritteln seines Umfanges jegliche Sozialität ausschließt?
Ich erinnere mich lebhaft an meine erste (und einzige) Lektüre dieses Buches. Ich las es in einer Nacht, hellwach, ohne Unterbrechung und mit rasendem Herzen. Keine Spur von Langeweile kam auf. Ich fürchete nur eins: Dass das Buch schneller zu Ende sein könnte als die Nacht.
Ich war schätzungsweise 10 Jahre alt. Am Abend zuvor hatte ich gegen den ausdrücklichen Rat meiner Eltern den Film »Es geschah am hellichten Tage« gesehen, in dem Heinz Rühmann als Oberleutnant Dr. Hans Matthäi einen Kindermörder sucht, der von Gert Fröbe gespielt wird.
Sobald ich in dieser Nacht die Augen schloss, sah ich Gert Fröbe vor mir, der mit dem Kasper zauberte und hinterm Rücken das Rasiermesser bereithielt, um mir die Kehle durchzuschneiden.
Im Bett meiner Eltern zu schlafen, wurde mir verweigert mit Hinweis auf mein Alter und darauf, dass man mich schließlich gewarnt habe. Also musste ich diese Angstnacht irgendwie anders durchstehen. Ich griff nach einem Buch – »Robinson Crusoe« – und las es von der ersten bis zur letzten Seite, bis es hell wurde.
Am 30. September 2009 um 20:01 Uhr
Dieses Phänomen, über das ich mir auch schon den Kopf zerbrochen habe, war mir jetzt gerade einen eigenen Eintrag wert. Merci für den Denkanstoss. :-)