als wär seither noch keine zeit vergangen
faulen im salpeterweiß die selben wände
und in den winkeln wie seit ewigkeiten hangen
die vagen spinnen noch an ihrer fäden ende
die stühle sind mit staub bedeckt und zeigen
wie nah sie dem zerbrechen sind im golde
der sonnenflecken die durch blind zersprungne scheiben
hereingefallen sind im roten abendneigen
es ist als ob ich wiederkommen sollte
und etwas auch als wollt es mich vertreiben
es ist als ob noch keine zeit vergangen wäre
säumnis –
als zögerte noch immer in den wänden
weil ich nicht wegbleib und nicht wiederkehre
ein feuriger wink von geisterhaften händen.
Wolfgang Hilbig, aus: „die versprengung“
© S. Fischer Verlag (2002)
••• Durch eine höchst unwillkommene Magengeschichte ins Bett geworfen, habe ich gestern per Laptop DVD geschaut: »Der Rote Kakadu«. Aus irgendeinem Grunde hatte ich eine seichte Komödie à la »Sonnenallee« vermutet. Das war es nun gar nicht.
Geschildert werden die letzten Monate vor dem Mauerbau in Dresden – der ganz gewöhnliche Wahnsinn des Kleinen Landes. Und das besonders Perfide an der Dramaturgie, dass der Film nicht nur dort endet, wo die Umstände am unerträglichsten geworden sind, sondern auch noch mit den Bildern des Mauerbaus. Es ist ja ein merkwürdiges Paradoxon, dass zwar West-Berlin eingemauert wurde, das Gefängnis aber auf der anderen Seite lag. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie wütend ich heute noch werde, wenn ich solche Bilder sehe, mit solchen Geschichten konfrontiert werde, der Kleinheit, der Dummheit, den ideologischen Tricks und Kniffen und der Verlogenheit… Lassen wir das.
Und dazu findet sich in der Post das neue »Poesiealbum« – passend zu den letzten Beiträgen hier und ungemein passend zu diesem Film – mit Gedichten von Wolfgang Hilbig. Die »fragwürdige rückkehr« hat mich so heftig getroffen, dass ich überlegt habe, ob man hier im Turmsegler am Beitrag ein Warnschild anbringen sollte: Sie lesen dieses Gedicht auf eigene Gefahr.
Am 7. September 2009 um 18:08 Uhr
Oh doch. Ich kann es mir vorstellen. ;)