versteinerte flügel

27. August 2007

Zaunkönig

ich muss mich fest
gegen die wände stemmen
das haus erweitern
in dem ich steh
die riemen sind
zu fest angezogen
und der brustkorb schmerzt
im korsett

ich erinnere mich
ans spannen der muskeln
ans atemholen und springen
von ufer zu ufer
zwischen welten
taumelnd

die zäune sind
niederzureißen
auf denen der könig
sein gefälschtes lied
vom bewahren singt
und kraftlos die längst
versteinerten flügel
hebt und vorzeigt
wie einen schatz

der zaunkönig will
seine krone verpfänden
und niemand soll singen
wo er einst
in der sicherheit
der gefangenschaft saß:

vogelhäuser
kasernenhöfe
tempel
fabriken
da capo!

© Benjamin Stein (2007)

••• Das ist der Nachteil daran, dass es wieder „fließt“. Plötzlich bekommt auch so eine Wut eine Stimme und steht dann im Gedicht wie etwas Endgültiges da. Aber das ist eine Täuschung.

Schon während der Zaunkönig den Aufstand probt, spürt er auch den Schmerz der verstauchten Gelenke nach den gewagten Sprüngen von Ufer zu Ufer. Und er erinnert sich wohl auch an den Schwindel, der zumeist dem Taumeln zwischen den Welten folgt. Da will er schon fast die Revolutionshorden zurückpfeifen und das Vogelhaus renovieren. Er könnte auch mit dem Schneider sprechen: Wenn Sie vielleicht, wenns recht ist, hier eine Schnalle in Rot befestigen würden; das verliehe dem Korsett mehr Pepp.

Da capo! eben. Vielleicht bin ich grad einfach nicht ernst zu nehmen.

5 Reaktionen zu “versteinerte flügel”

  1. eukapirates

    wut – aggressionen, sind wichtig. für’s leben, für’s schreiben. so weit ich weiß, kommt aggression von agredere – nach etwas fassen. ohne gesunde aggression, könnten wir die welt nicht berühren. schreiben ist AUCH ein nach-der-welt-fassen.

    krone verpfänden: sehr schön :-)

  2. Benjamin Stein

    ohne gesunde aggression, könnten wir die welt nicht berühren. schreiben ist AUCH ein nach-der-welt-fassen.

    Das hast Du sehr schön gesagt. Nach der Welt fassen, mitunter auch nach (einem) Menschen.

    Und die Krone verpfänden? Die nimmt ja keiner. Oder gäbe was dafür… *g

  3. eukapirates

    ob sie nun einer nimmt oder nicht… allein das verpfänden ist ein neuer raum, einer der – wie mir scheint – ausgesprochen betretenswert ist. nach einem menschen fassen. das ist wichtig, ohne bleiben wir einsam. immer dieses (unser) zurückschrecken (vor dem versuch), weil manch einer (von uns) nicht angefaßt werden will. die krone immer wieder neu verpfänden, bis einer kommt, der sie haben will, einer, der berührt werden will… oder, wie lars gustafsson sagt: wir fangen noch einmal an. wir geben nicht auf.

  4. Benjamin Stein

    Danke, liebe Piratin, Du machst mir heute sehr Mut und ahnst womöglich gar nicht, wie sehr mich die letzten Worte betreffen. Nein, Aufgeben ist gar nicht meine Art. Noch einmal anfangen, aber ja doch. Nur wollen die Kräfte gesammelt sein. Und man muss der Wut und der Aggression begegnen, weil aus beiden Affekten nichts Konstruktives zu machen ist.

  5. eukapirates

    gutes dranbleiben ;-)

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