Holding Hands – © orangevolvogrl86@deviantart.com (2003)
Als wir zerfielen einst in Du und Ich
Und unsere Betten standen Hier und Dort
Ernannten wir ein unauffällig Wort
Das sollte heißen: ich berühre dich.
Es scheint: solch Redens Freude sei gering
Denn das Berühren selbst ist unersetzlich
Doch wenigstens wurd »sie« so unverletzlich
Und aufgespart wie ein gepfändet Ding.
Blieb zugeeignet und wurd doch entzogen
War nicht zu brauchen und war doch vorhanden
War wohl nicht da, doch wenigstens nicht fort
Und wenn um uns die fremden Leute standen
Gebrauchten wir geläufig dieses Wort
Und wußten gleich: wir waren uns gewogen.
Bertolt Brecht (1898-1956)
••• Was weiß denn ich, welche Wege mitunter die Assoziationen nehmen?! Heute fielen mir spontan zwei Bruchstücke dieses Gedichtes ein. Da war zunächst das erste Quartett und dessen Schluss: »ich berühre dich«. Und die letzte Zeile wusste ich noch: »Und wußten gleich. wir waren uns gewogen.«
Ich berühre dich… Wieviel Zärtlichkeit steckt in diesen drei Worten!
Ich bin heut »anal«, um es englisch und deutlichst möglich zu sagen. Ich habe die ersten Fahnen der »Leinwand« bekommen und hatte einige Zeit mit erhöhtem Puls zu kämpfen. So schön sich das Layout insgesamt ausnimmt, fielen mir vor allem die Details ins Auge, die »das Buch zerstören«, wie ich unvermittelt hinausschimpfte. Na bitte, Künstler halt, da ist Lauheit nicht zu erwarten.
Aber Moment. Nach einigen Stunden und ein, zwei Gläsern Wein, die mich entspannten, ging es mir wieder einmal auf: Büchermachen ist Teamwork! Hier sind Leute mit unterschiedlichen speziellen Fähigkeiten am Werk. Wir brauchen als Autoren die Cover-Designer und Layouter (Lektoren ohnehin), aber sie brauchen uns auch. »Schön« ist nicht automatisch »richtig« in Bezug auf ein bestimmtes Werk. Nur muss sich der Autor erklären, warum er gewisse Gestaltungselemente gewählt hat. Um es offenzulegen: Wir reden hier über so »unbedeutende« Fragen wie die Platzierung eines Textes auf einer rechten oder linken Seite, die Größe und Ausrichtung von Kapitelnummern oder die Verwendung eines Punktes statt eines Bullets (•) bei den Seitennummern, als würde an solchen Details die Welt zugrunde gehen. Aber das tut sie auch! Ein Buch ist eine Welt; und die unterschätzte Bedeutung einer Kapitelnummer macht den Unterschied zwischen Sonne und Regenwetter.
Das wird sich mit all den umgänglichen und offenen Verlagsmitarbeitern alles klären lassen; da bin ich sicher. Und irgendwann gibt es vielleicht mal eine Anekdote ab: Wie der sich echauffiert hat über zwei Pica Schriftgrad! Aber ich will bei der »Leinwand« nichts Beeinflussbares dem Zufall überlassen. Das ist ein Buch, bei dem Inhalt und Form, Design und Text, symbiotisch koexistieren müssen. Und es gibt bei Büchern keinen zweiten Versuch. Sind sie einmal in die Öffentlichkeit entlassen, sind sie, was wir aus ihnen gemacht haben. Sie dürfen nicht wachsen, sich nicht entwickeln. Sie sind dann, was sie sind und bekommen kaum je einmal eine zweite Chance. Deswegen bin ich »anal«. Deswegen steigt mein Puls, wenn mir etwas nicht stimmig erscheint. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich die Team-Player schätze für das, was sie beitragen zu so einem Projekt. Eine Echauffierung in Ehren und um es mit Brecht zu sagen: Ich bin und bleibe ihnen allen gewogen.
Doch genug der Ablenkung vom »Ersten Sonett“. Wenn ihr ein Wort finden müsstet, um die Zärtlichkeit von »ich berühre dich« zu verschlüsseln – welches Wort wäre es?
Und wenn wir schon »anal« sind heute: In Zeile 7 muss es doch wohl heißen »Sie« statt »sie«. Was für Pfuscher waren denn da am Werk? Oder hat der Leser – und Autor dieses fragwürdigen Beitrags – da etwas völlig miss- oder gar nicht verstanden?
Am 29. August 2009 um 15:33 Uhr
Ich glaube nicht an die Pfuscherei. Das „sie“ scheint sich eher auf etwas Unausgesprochenes im Verhältnis der zwei zu beziehen, nicht auf eine Person. Auf „die Liebe“ vielleicht.
Am 29. August 2009 um 21:31 Uhr
Die Liebe im Leihhaus »aufgespart wie ein gepfändet Ding«? Traurige Vorstellung, aber möglich ist es schon.
Am 30. August 2009 um 21:57 Uhr
[…] Als ich mich letztens an Brechts »Erstes Sonett« erinnerte, suchte ich panisch nach dem Band mit seinen Liebesgedichten, einem meiner liebsten und […]
Am 3. September 2009 um 12:06 Uhr
[…] kleine Reihe mit Liebesgedichten soll einen würdigen Abschluss finden. Und da wir mit einem Sonett von Brecht begonnen haben, soll nach dem Quartett-Muster A-B-B-A auf Brecht-Fried-Fried auch noch ein […]
Am 14. März 2012 um 17:55 Uhr
Ich denke die Entstehungszeit und die Frage „Warum eigentlich ausgerechnet ein Sonett?“ sollten noch dringend beachtet werden :)
Am 27. April 2012 um 07:56 Uhr
[…] es, wie es ist, und wir werden sehen, wie es für uns alle ausgeht.Brechts »Erstes Sonett« ist hier schon einmal zitiert worden.Als wir zerfielen einst in Du und Ich Und unsere Betten standen Hier […]
Am 4. Mai 2012 um 23:46 Uhr
Kann mir jemand sagen wann das erste Sonett entstanden und veröffentlicht wurde?
Danke!