Windrose – © by *edelherb@deviantart.com
Wo du auch hingehst
mit deinen träumenden Füszen
sorgsam hingesetzt in dein gegenwärtiges Leben
seltsam beflügelt jedoch wie Merkurs Fersen
in einer ahnungsvollen Erwartung:
immer wieder werden sich riesige Blöcke von Luft
wie fügsame Herden bewegen lassen durch dich
und auf mich zukommen
alle Regen die je deine Wange treffen werden
kommen zu mir zurück
aufgelöst bist du in jedes Teilchen der Erde
mitgeteilt hast du dich allen schwebenden Wolken
und die Wälder der Blumen sprechen in deiner Sprache
nichts kann dich mehr trennen von meinem Herzen
mit jedem Sonnenstrahl sinkst du in mich
wie ein Same
über alle Wasser hinweg
bis zu den blätternden Sternen der Windrose
••• Ich bin mitunter ein undankbarer Leser, nicht sehr geduldig, leicht zu enttäuschen. Das trifft besonders auf die Lyrik-Lektüre zu. Wenn ich einen Band „Gesammelte Gedichte“ vor mir habe, fange ich vorn an und lese Seite für Seite. Und wenn mich nicht recht bald eines der Gedichte wirklich entzündet, kann es leicht sein, dass ich nicht sehr weit komme. Nicht immer gibt es einen zweiten Versuch.
Deswegen sind mir Bände mit Querschnitten aus einem Werk lieber. Hier hat jemand schon eine Auswahl getroffen. Sie mag sehr subjektiv sein, aber häufig sind die Perlen schon vorverlesen, und ich komme eher zu einem Initiationserlebnis.
Ganz so ging es mir mit den Gedichten von Friederike Mayröcker. Ich kannte zunächst nur ihre Prosa. Vor einiger Zeit habe ich mir dann den dicken Wälzer mit ihrem (bisherigen) lyrischen Gesamtwerk bestellt, bin aber regelrecht steckengeblieben. Jetzt aber, beim Lesen einer Auswahl von Liebesgedichten, sind mir doch noch schlagartig die Augen aufgegangen.
Drei Verzauberungen habe ich ausgewählt. Dieses ist der erste Streich.