Great Distance – © by ~liquidkid1@deviantart.com (2006-2007)
Du bist ein fernes Land
gern schrieb ich dir unter den Bäumen
du bist ein fernes Land
mit wem hast du dich geküszt?
du bist ein fernes Land
der Mond ist über den Bäumen
o mein geliebtes Land
die Tage werden still
••• Und noch eine – vorerst letzte – Perle von Frau Mayröcker.
Auf dem Turmsegler wird es demnächst etwas ruhiger werden, denn nicht die stille Tagen, wohl aber die Hohen Feiertage stehen vor der Tür. Wenn dieser Beitrag um Mitternacht erscheint, werden die ersten Slichot – Fürbitten – in der Synagoge gesagt. Am Mittwoch abends beginnt Rosh Hashanah, das Neujahrsfest. Das ist die Audienz beim König der Könige. Nebenbei ist der himmlische Gerichtshof anwesend und befindet über unser menschliches Gelingen und Scheitern; und man betet in Totenkleidern und steht dem König Rede und Antwort.
Bitterere Fragen als ich mir selbst kann mir im Moment wohl kaum jemand stellen. Aber wer weiss…
Am 9. September 2007 um 10:56 Uhr
Jetzt mach aber aus der Mayröcker keine Gläubige, das ist sie nämlich nicht
Am 9. September 2007 um 13:03 Uhr
was für ein schönes gedicht, was für ein schönes land :-)
Am 9. September 2007 um 19:48 Uhr
@Herr H: wie meinst Du das jetzt?
Am 9. September 2007 um 21:10 Uhr
Das Gedicht meine ich und das Land dass den Liebsten als Land bezeichnet, das ist großartig, ich hab noch viel zu wenig von der Mayröcker gelesen…
Am 10. September 2007 um 18:50 Uhr
fm ist eine wortfee. und eine umwerfende frau. danke, lieber turmsegler, für dieses schöne gedicht, das ich noch nicht kannte…
eine frage hat sich mir aufgedrängt bei der lektüre. diese behauptung der untrennbarkeit – der einseitigen untrennbarkeit – in der liebe, ist sie usurpativ? ist sie grenzverletzend? ist sie ein machtanspruch? auch wenn sie daherkommt wie tiefes beEINDRUCKTsein? das beschäftigt mich immer wieder. wenn ich behaupte, nichts könne mich mehr vom geliebten trennen, behaupte ich damit nicht seinen besitz? gebe ich damit nicht das eigentliche der liebe auf: daß sie nämlich davon lebt, immer wieder neu verschenkt zu werden – oder eben auch nicht. oder anders ausgedrückt: daß ich ihre potentielle endlichkeit negiere, um sie ganz und gar für mich zu baANSPRUCHen, um sie eben zu besitzen, zu haben? und sei es auch nur für diesen einen moment, in dem ich dieses nichts kann DICH (!!!) mehr trennen von mir behaupte? und: wäre es eine andere aussage, wenn dort stünde: nichts kann MICH mehr trennen von dir?
Am 10. September 2007 um 19:24 Uhr
@eukapirates:
Darf ich mir eine – für einen Europäer bzw. Philosophen – vielleicht ketzerische Frage stellen?
Ist es denn so wichtig, eine ENDgültige Antwort auf diese Fragen (ist diese Liebe grenzverletzend? ist sie ein machtanspruch?) zu haben? Ist Liebe nicht immer beides, besitzergreifend und befreiend, mal so, mal so? Lebt Liebe nicht in und zehrt sie nicht von diesem Kraftfeld, das so spannungsgeladen ist, dass es einen manchmal fast zerreisst?
Ich glaube, Liebe ist beides: Sie will DICH, will, dass DICH nichts von mir trennt, will aber ebenso, dass nichts MICH von dir trennen kann. (Eins sein, ist dieser Zustand nicht ein Affront für jeden denkenden Geist? Und deshalb etwas, das nicht in Gedanken stattfindet, sondern im Herzen und Körper, wo andere Kategorien gelten?)
Am 10. September 2007 um 20:50 Uhr
Platos Gleichnis des Kugelmenschen hat mich in meinen ersten Liebeserfahrungen ganz bestimmt: Dass wir nur vollkommen werden können mit und in einem anderen. Das entsprach ganz meinem Gefühl. Allerdings habe ich heute einen gründlich anderen Blick darauf. Nein, ich will nicht, dass NICHTS dich von mir trennt, dass NICHTS mich von dir trennt. So oder so ist es wie eine Landnahme, die immer etwas Gewaltsames hat. Nein, keine Vereinigung von Halbkugeln, sondern so etwas wie eine Überschneidung von Kreisen. Und es gibt in beiden Kreisen Regionen, die nicht durchtränkt sind vom anderen und die ich beim anderen nicht durchtränken werde.
Ich bin ganz auch ohne eine solche usurpierende Liebe, solange LIEBE in mir ist. Und ich kann nur atmen und wachsen, wenn nicht in jedem Quadratzoll meines Gartens EIN anderes zu Gast ist und Raum greift.
Ob die Liebe besitzergreifend UND befreiend ist. Sie kann befreiend sein. Wo sie Besitz ergreift, glaube ich, mag sie Begehren sein, aber sie trägt den Keim des Erstickens schon in sich. Das Problem ist, dass Liebe sehr wohl all das ist, Projektionsleinwand für was immer wir darunter verstehen. Vielleicht kann man nur sagen, mit welcher Art Liebe man leben kann, mit welcher nicht. Und dann gäbe es keine ENDgültigen Antworten auf diese Frage, sondern nur sehr persönliche.
PS: Kommt mal morgen wieder. Ich habe was angerichtet zu diesem Thema… Oder es hat sich angerichtet. So genau weiss ich das nicht.
Am 10. September 2007 um 22:44 Uhr
um wieviel uhr sollen wir wieder kommen? ;)
Am 10. September 2007 um 22:45 Uhr
Um 00:02, wenns beliebt.
Am 11. September 2007 um 00:04 Uhr
[…] Die Kommentare von eukapirates und Markus haben mich angestiftet. Die stampfende Bauernarmee ging mir schon den ganzen Tag über […]
Am 11. September 2007 um 07:16 Uhr
Ich bin da dezidiert anderer Meinung, schon allein, weil ich an eine Idealform der Liebe nicht glaube. Wo zwei einander nahe kommen, wird es hoffentlich immer auch Begehren geben, dass dies aber den Keim des Erstickens in sich trägt – ich weiss nicht. Das tönt sehr absolut, als liefe Begehren unausweichlich auf den Erstickungstod des/der Geliebten hinaus.
Ich werde am Freitag voraussichtlich auf SkyRadio in meinem „Wochenrückblick“ weiteres dazu sagen, dann aber in einem grösseren Kontext: Liebe und Begehren haben einen Platz immer in einer „Geschichte“, sprich im Leben. Und da sind ihre Formen tausendfach. Und wer bin ich, dass ich sagte: Dies ist richtige Liebe, jenes nicht?
Am 11. September 2007 um 07:25 Uhr
Du hast mich falsch gelesen. Ich schrieb: Wenn Liebe Besitz ergreift, ist sie vielleicht Begehren, aber nicht befreiend. Selbstverständlich gehört Begehren zur Liebe. Daran besteht wohl kein Zweifel.
Auch sage ich nicht, was „richtige“ Liebe sei, was nicht. Der Begriff muss all das tragen, all das gehört offenbar dazu. So steht es oben.
Am 11. September 2007 um 08:00 Uhr
Falsch gelesen = falsch verstanden. :-)
Sorry.
Am 11. September 2007 um 08:59 Uhr
Es wurde ja niemand verletzt *g