Jewish Antwerp – © Annemie Kvanderkuil
••• Je näher die Abreise rückt, desto mehr saust mir der Frack. In den letzten Tagen habe ich viel gelesen über die Riten zwischen Tod und Grab; und erst jetzt ahne ich, was mich in Antwerpen erwartet. Ich habe noch nie einen Toten gesehen, geschweige denn berührt. Das könnte sich ändern in den nächsten Tagen, und ich habe keine Vorstellung, was eine solche Erfahrung mit mir anstellen wird.
Schabbes werde ich bei einer frommen Familie zu Gast sein. Der Hausherr führt ein Juweliergeschäft. Die Diamantäre und Steinschleifer allerdings, habe ich erfahren, sind kollektiv bis kommenden Montag in den Ferien. Ich werde also wenigstens noch ein weiteres Mal fahren müssen, um diesen Aspekt der »Recherchen« abzudecken.
Warum ich »Recherchen« in Gänsefüßchen schreibe? Die Beschäftigung mit der Chevra Kadischa und ihrer Arbeit im Verborgenen, diese Begegnung mit dem Tod, die ich da suche, bedeuten mir mehr. Es geht mir nicht nur um das Sammeln von Eindrücken, Stoff für ein neues Buch. Die Herzdame hat es gestern recht hellsichtig ausgedrückt. Jetzt, meinte sie, verstehe sie, warum ich schreibe. Mit manchen Facetten des Lebens könne ich nur umgehen, indem ich mich in die Position des recherchierenden Beobachters begebe.
Das trifft sicher zu, was die vor mir liegende Reise betrifft. Ich rette mich in die Rolle des Rechercheurs hinein. Allein die Vorstellung, dass der Mensch, der tot vor mir liegen wird, um die letzte Waschung zu erhalten, im Augenblick, da ich dies schreibe, ja wohl noch lebt… Und wenn er dies hier sogar läse? Nein, wenn ich zum ersten Mal bei diesen letzten Handreichungen behilflich sein werde, darf ich, kann ich es nicht allein als Beobachter tun.
Der Zug geht 3:17. Gegen 11 sollte ich in Antwerpen sein. Ich werde berichten.
Am 18. August 2009 um 21:31 Uhr
Wäre gern dabei und würde das gern mit Dir teilen. Auch bei der Totenwäsche.
Aber anfassen wirst Du doch keinen Toten. Ich dachte, das sei verboten?
Am 18. August 2009 um 23:48 Uhr
Wie soll man ihn waschen und anziehen, ohne ihn zu berühren?
Am 18. August 2009 um 23:53 Uhr
Ich wünsche Dir eine gute Reise und viele gute Eindrücke und Erfahrungen. Die Toten sind wie normale Menschen – nur kalt und hart. Man spürt welche Kraft der „funken leben“ hat
Am 19. August 2009 um 00:04 Uhr
@Benjamin: Ich denke nicht, dass Du das „darfst“. Das ist nicht Dein Job und hast Du ja nicht gelernt. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Am 19. August 2009 um 00:16 Uhr
Ich weiß es nicht. Aber die Berichte, die ich gelesen habe, ähneln sich alle in einem Punkt: Wer immer zum ersten Mal bei einer Tahara anwesend war, hat auf irgendeine Weise aktiv dabei geholfen. Die einzige Unhöflichkeit wäre in einem solchen Moment wohl auch, nur zuzusehen. Es war also immer ein »training on the job«. Wir werden sehen. Ich bin jedenfalls entschlossen, es nicht abzulehnen, wenn ich gefragt werden sollte.
Am 19. August 2009 um 00:19 Uhr
Na dann bin ich aber mal gespannt, ob Du überhaupt zuschauen bzw. dabei sein darfst. Kann mir das nicht vorstellen.